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Wirtschaft: Nicht lang fackeln

Das Leck an der Bohrinsel trifft den Total-Konzern. Investoren steigen trotzdem groß ins Gasgeschäft ein.

Die Fackel an der Gas-Bohrinsel „Elgin“ ist erloschen. Dennoch ist der Schaden schon zu groß für die Portokasse – auch für die des größten französischen Energiekonzerns Total. Selbst wenn es den Experten gelingen sollte, das Leck am Bohrloch noch vor Ostern zu schließen, würde das Ereignis wegen der zwei Wochen Betriebsausfall die Bilanz mit rund 150 Millionen Dollar belasten, rechneten Analysten bereits vergangene Woche vor.

Dauert es Monate, wären es sogar rund drei Milliarden. Und sollte die Plattform in der Nordsee doch noch explodieren, könnten gar Folgekosten in Höhe von zehn Milliarden Dollar (7,5 Milliarden Euro) auf Total zukommen. Zum Vergleich: Konkurrent BP hat inzwischen insgesamt 32 Milliarden Dollar aufbringen müssen, um die Folgen der Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko vor zwei Jahren zu beseitigen.

In der Pariser Zentrale dürfte man den Vorfall bedauern, einen Ausstieg aus der Erdgasförderung aber nicht einmal erwägen: Denn keinem anderen fossilen Rohstoff sagen Experten derzeit eine größere Zukunft voraus. In einer vor wenigen Wochen vorgestellten Prognose der Statistik-Abteilung von BP heißt es, Erdgas werde bis zum Jahr 2030 der am schnellsten wachsende fossile Brennstoff sein. Jedes Jahr dürfte die Produktionsmenge weltweit um gut zwei Prozent steigen. 80 Prozent dieses Wachstums gehe auf die Schwellenländer außerhalb der OECD zurück. In einer kaum älteren Analyse heißt es, dass allein Chinas Gas-Importe von fünf Milliarden Kubikmetern (2008) bereits bis 2015 auf 110 Milliarden Kubikmetern im Jahr steigen dürften, also um das 22-fache.

„Erdgas wird das Erdöl des 21. Jahrhunderts“, behauptet etwa Otto Wiesmann, Rohstoffhändler bei der Index Handelsgesellschaft aus Neu-Isenburg. „Wer jetzt nicht in Erdgas aus den USA investiert, dem ist nicht zu helfen“. Der jetzige Einstieg in Erdgas an der Rohstoffbörse Nymex sei nur vergleichbar mit dem Einstieg in Gold im Jahre 2001 bei 255 Dollar je Feinunze. Heute kostet eine Feinunze mehr als 1660 Dollar. Allerdings, räumt Wiesmann ein, sei der Einstieg für unerfahrene Privatanleger riskant.

Mindestens zwei große Entwicklungen sprechen gleichwohl dafür, dass das Geschäft mit dem Erdgas an Fahrt gewinnt: Zum einen wird immer mehr Gas aus unkonventionellen Quellen gefördert. Zum anderen wird Gas durch die Verbreitung der Verflüssigungstechnologie viel leichter transportierbar. Beide Trends drücken zunächst den Preis.

Die aus ökologischen Gründen umstrittene Förderung von Schiefergas aus bisher nicht erreichten Gesteinsschichten ist der große Trend der vergangenen Jahre. Zwar stoßen Konzerne wie ExxonMobil, die diese Technologie auch in Niedersachsen erproben, hierzulande auf heftige Widerstände. Länder wie Polen stehen diesem Aufbrechen von Gestein, englisch Fracturing oder Fracking genannt, dagegen offen gegenüber. In den USA sind Umweltgesetze seit 2005 so aufgeweicht worden, dass Förderunternehmen nun ohne strenge Behördenkontrollen Cocktails aus bis zu 750 verschiedenen Chemikalien in den Boden pumpen können, um an Gas zu kommen.

So ist Erdgas in den Staaten heute viel billiger als hier. Das führt etwa dazu, dass 95 Prozent der im vergangenen Jahr errichteten Elektrizitätswerke mit Gas befeuert werden. Das ist auch der Grund, warum der Industriekonzern Siemens im November eine Fabrik für Gasturbinen in Charlotte (North Carolina) eröffnet hat und auch Siemens’ Traditionswerk in Berlin-Moabit auf Jahre ausgelastet ist.

In den USA glaubt man an das Gas aus heimischer Erde, und betankt damit auch immer mehr Fahrzeuge. So werden die Staaten auch zunehmend unabhängiger vom Öl aus Nahost. Die Prognostiker von BP sagen voraus, dass die USA im Jahre 2030 zum Nettoexporteur von Erdgas geworden sein werden. Das hätte weitreichende Folgen: „Warum sollten sich die USA dann noch im Nahen Osten politisch und militärisch engagieren?“, fragte BP-Chefvolkswirt Christof Rühl unlängst rhetorisch.

Der Schiefergasboom in Amerika könnte schon bald auch für Konzerne und Verbraucher in Europa zu spüren sein. Das hängt mit der immer stärkeren Verbreitung von Flüssiggas, auch LNG (liquefied natural gas) genannt, zusammen. Die Technologie der Verflüssigung ermöglicht es, den Brennstoff in Schiffen und Tanklastern – ohne Pipelines – an fast jeden beliebigen Ort der Welt zu bringen. In den USA soll noch in diesem Jahr der erste von sieben geplanten LNG-Häfen fertiggestellt werden. So kann US-Gas dann auch Europa erreichen. Derzeit ist noch das kleine arabische Emirat Katar größter Flüssiggaslieferant der EU.

Dass speziell die deutschen Heizkunden von den Umwälzungen auf dem Weltmarkt profitieren, ist fraglich. Hier haben sich die größten Erdgasimporteure wie die Verbundnetz Gas AG oder Wingas mit langfristigen Verträgen an den russischen Staatskonzern Gazprom gebunden. Auch der aktuelle Bau des zweiten Leitungsstranges der Ostsee-Pipeline zeigt, dass die Importeure sich auf Jahrzehnte an Russland binden, anstatt billiges Flüssiggas zu importieren. In Deutschland gibt es keinen Hafen für LNG-Schiffe.

Das ist auch ein Hemmnis für die angestrebte Energiewende hierzulande. Schnell regelbare Gaskraftwerke gelten als optimale Ergänzung zu Windrädern und Solarparks, die sehr schwankend Strom liefern. Zudem wird bei der Gasverbrennung deutlich weniger Kohlendioxid als bei der Verstromung von Kohle frei. Doch angesichts der im internationalen Vergleich hohen Gaspreise und regionaler Bürgerproteste wurden zuletzt mehrere Gaskraftwerksprojekte auf Eis gelegt. So scheiterte im Februar der Bau des bisher größten deutschen Gaskraftwerks in Wustermark westlich von Berlin.

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