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Wirtschaft: "Nicht mehr alles auf Aktien setzen"

Die Börse hangelt sich mit Pausen weiter Richtung 6000 Punkte.Gleichzeitig wird eine gewisse Unsicherheit spürbar.

Die Börse hangelt sich mit Pausen weiter Richtung 6000 Punkte.Gleichzeitig wird eine gewisse Unsicherheit spürbar.Unser Frankfurter Korrespondent Rolf Obertreis sprach mit Thomas Tilse, bei der Commerzbank für die Aktienmarkt-Strategie verantwortlich, über die aktuelle Lage an der Börse.

TAGESSPIEGEL: Die Börse kennt trotz zwischenzeitlicher Rückschläge derzeit offenbar nur eine Richtung: Nach oben.Die 6000 Punkte sind in greifbare Nähe gerückt.Wann passiert das? Wie sind die Perspektiven für das laufende Jahr?

TILSE: Wenn überhaupt, dann sehen wir 6000 Punkte innerhalb der nächsten sechs Monate.Für die Börse haben wir derzeit die "Beste aller Welten": Überraschend niedrige Zinsen, überraschend günstige Rohstoffpreise, überraschende Megafusionen wie zwischen Daimler und Chrysler.Wir haben jetzt die Euro-Fantasie, die möglicherweise 1999 in Ernüchterung umschlägt.Wir haben jetzt auch Konjunktur-Fantasie.Wegen der niedrigen Zinsen könnte endlich auch die Binnenkonjunktur anspringen.Die Kombination all dieser Faktoren ist eine explosiv-positive Mischung.Das gilt bis Ende 1998.Im nächsten Jahr wird es möglicherweise enger.

TAGESSPIEGEL: Was könnte die Kurse in den nächsten Monaten stoppen? Wo liegen Risiken?

TILSE: Da ist zunächst Asien.Japan, die bislang zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt liegt darnieder.Seit drei Jahren herrscht dort die größte Depression der Nachkriegsgeschichte.Alle wichtigen Konjunkturindikatoren fallen derzeit zweistellig aus.Wenn die Japaner auch in nächster Zeit kein Mittel gegen die Krise finden, können wir in Europa nicht weiter so tun als wäre dort nichts passiert.Südostasien bleibt auf der Tagesordnung.Dort erleben wir derzeit den zweiten Aktienschock innerhalb weniger Monate.Dazu kommen jetzt bedenkliche Entwicklungen in Osteuropa, vor allem in Rußland.Dort wird die Währung wahrscheinlich abgewertet.Um uns herum sieht es also zum Teil sehr kritisch aus.Das könnte hierzulande an der Börse und in den USA für Ernüchterung sorgen.Im Moment aber dominieren die positiven Faktoren in Europa und in Deutschland.

TAGESSPIEGEL: Bundestagswahlen galten in früheren Jahren für die Börse immer als Risikofaktor.Könnte ein Wahlsieg von Rot-Grün den Boom stoppen?

TILSE: Die Politik spielt im Moment an der Börse keine Rolle.In den USA nach Clinton, in Frankreich nach Jospin oder in Großbritannien nach Blair war es immer das gleiche: Die Börse ist gestiegen.Rot-Grün muß folglich die Aktienkurse hierzulande nicht drücken.Auch eine neue Regierung kann relativ wenig verändern: Sie muß das Budgetdefizit drücken, eine Renten- und eine Steuerreform anpacken.Für die Märkte ist jede Lösung positiv, sie muß nicht von der CDU kommen.Im übrigen: Die Unternehmen scheren sich um die Politik derzeit den Teufel.Sie restrukturieren massiv und aggressiv.Kein Gerhard Schröder und kein Joschka Fischer wird sie aufhalten.

TAGESSPIEGEL: Was sollten Anleger angesichts des Kursniveaus tun.Gewinne realisieren, abwarten und sogar noch zukaufen? Welche Branchen führen Sie auf der Kaufliste?

TILSE: Er sollte in Deutschland voll investiert bleiben.Und bei Korrekturen in Branchen wie Elektro, Versorger, Software oder Konsum Werte kaufen.Solche Aktien dürften von der Erholung der Binnenkonjunktur profitieren.Dies wird auch Werte aus der zweiten Reihe beflügeln.Dort gibt es gegenüber den Standardwerten erheblichen Nachholbedarf.Aber man sollte auch nicht mehr alles auf Aktien setzen.Im Zweifel heißt das: Zur Hälfte Aktien, zur Hälfte Rentenpapiere.

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