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Ölpumpen in einem Tal in Texas

© dpa/Jerod Foster/The Texas Tribune

Niedriger Preis, kaum Nachfrage: Beendet Corona das Ölzeitalter?

Die Nachfrage nach Öl wird sich nur langsam erholen. Neue Energiequellen gewinnen an Bedeutung. Wie das den Markt nachhaltig verändert.

Ein Doppelschlag schickte in diesem Frühjahr den Ölpreis in den Keller. Während die Weltwirtschaft wegen der Corona-Pandemie in die Krise stürzte und die Nachfrage nach Öl so drastisch sank, dass die Lager überquollen, lieferten sich Saudi-Arabien und Russland einen ruinösen Preiskrieg. Zeitweise mussten Verkäufer draufzahlen, um Öl loszuwerden.

Nun ist der Ölpreis zum ersten Mal seit März wieder über die Marke von 40 Dollar pro Fass gestiegen – doch langfristig wird sich der Ölsektor nach der Coronakrise wohl nie wieder komplett erholen. Die Pandemie werde den Energiemarkt dauerhaft verändern, glaubt Saad al-Kuwari, Chef des Öl-Marketing-Unternehmens Tasweeq in Katar. Erneuerbare Energiequellen seien die voraussichtlichen Gewinner, schrieb Kuwari jetzt in der Zeitung „Gulf Times“.

Zwar gibt es nach dem Schock des Frühjahrs jetzt Anzeichen für höhere Ölpreise in nächster Zeit: Die Nachfrage aus China steigt mit der Erholung der dortigen Wirtschaft, und die wichtigsten Ölproduzenten sind bereit, ihre Förderung weiterhin zu drosseln, um den Preis zu stützen.

Das Ölkartell Opec unter Führung von Saudi- Arabien einigte sich am Samstag mit Förderländern wie Russland über eine Verlängerung von Produktionseinschnitten bis Ende Juli. Die Runde, genannt Opec Plus, hatte im April vereinbart, im Mai und Juni täglich fast zehn Millionen Fass (je 159 Liter) weniger Öl zu fördern. Der Deal soll die weltweite Ölproduktion um rund zehn Prozent senken und wird mit der neuen Einigung fortgeschrieben.

Doch die mittelfristige Zukunft ist unsicher. Veränderungen der Arbeitswelt durch die Pandemie – wie der Boom bei Online-Arbeit und Video-Konferenzen – könnten auf Dauer den Ölverbrauch senken, weil sie Fahrten zum Büro und Geschäftsreisen überflüssig machen. Große Unternehmen wie Facebook wollen zehntausenden Mitarbeitern erlauben, für immer von zu Hause aus zu arbeiten.

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Um acht Prozent dürfte die Nachfrage einbrechen

Die Nachfrage nach Öl wird auf absehbare Zeit zudem durch die weltweite Corona-Rezession gebremst und dürfte nur langsam wieder auf das Niveau von vor der Krise klettern. Die internationale Energiebehörde IEA rechnet damit, dass die Nachfrage im laufenden Jahr im Vergleich zu 2019 um acht Prozent einbrechen wird. Der Markt wird laut IEA erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres wieder so viel Öl nachfragen wie vor der Krise.

Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet, dass die Nachfrage erst Ende 2022 wieder den Stand der Vor-Corona-Zeit erreichen wird. Kingsmill Bond von der Energie-Denkfabrik Carbon Tracker sieht die Erholung in weiterer Ferne: Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen werde weniger stark wachsen als vor der Pandemie, schrieb Bond in einer Analyse. Das bedeute, dass der Stand von 2019 erst im Jahr 2028 wieder erreicht wäre.

Vorerst müssen Ölproduzenten also die Förderung senken, doch Ölquellen können nicht wie Lichtschalter aus- und dann wieder eingeschaltet werden. Ein Neustart der Ölförderung nach Stilllegung einer Anlage kann viel Geld kosten – was die Verluste eines Unternehmens verschlimmern kann. Die Krise behindert zudem neue Investitionen. In den USA, wo viel Öl aus Ölschiefer gewonnen wird, brauchen Firmen einen Ölpreis von rund 49 Dollar pro Fass, damit sich die Erschließung eines neuen Ölfelds lohnt. Derzeit liegt der Preis weit darunter.

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Der Energiebedarf könnte künftig anders gedeckt werden

Selbst wenn der Ölhahn eines Tages dank einer Erholung der Weltwirtschaft wieder aufgedreht werden kann, heißt das nicht, dass für die Ölindustrie wieder alles in Ordnung ist. Denn künftig wird der Energiebedarf möglicherweise anders gedeckt als mit Öl und Gas. Deutschland und anderen Länder wollen die Krise nutzen, um ihre Volkswirtschaften zu modernisieren und besser auf den Klimawandel einzustellen.

Das Nein zu einer Kaufprämie für Benzin- und Dieselautos im neuen Konjunkturpaket der Bundesregierung ist ein Beispiel für den Trend. Nach einem Bericht der Internetseite Oilprice.com werden die Investitionen in die Windenergie in Europa in zwei Jahren höher liegen als die Ausgaben im Sektor Öl und Gas.

Überall auf der Welt wollen Politiker den Abschied vom Öl einleiten. Die Pandemie sei eine einmalige Gelegenheit, eine „saubere“ Wirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplätzen zu schaffen, schrieb der neuseeländische Klimaminister James Shaw in einem Beitrag für das Klima-Portal Climate Change News.

Energie kommt zunehmend aus erneuerbaren Quellen.
Energie kommt zunehmend aus erneuerbaren Quellen.

© picture alliance/dpa

Der Übergang wird Jahre dauern und könnte durch kleinere Öl-Booms unterbrochen werden. So verweisen einige Experten darauf, dass die derzeit niedrigen Ölpreise die Umstellung auf eine grünere Energiepolitik bremsen können: In vielen Ländern werden Rekorde momentan nicht beim Verkauf von Elektroautos erzielt, sondern bei den benzindurstigen SUVs. Der frühere Chef des Ölkonzerns BP, John Browne, sagte der „Financial Times“, die Corona-Krise werfe zwar ein Schlaglicht auf die schwierige Zukunft der Ölindustrie. Doch auch andere umstrittene Branchen wie die Kohle- und die Zigarettenindustrien könnten sich trotz großer Kritik an ihren umwelt- und gesundheitlichen Nachteilen halten.

Eine Rückkehr zu der Zeit vor der Corona-Pandemie ist für die Ölindustrie aber schwer vorstellbar. Einige Fachleute nehmen deshalb an, dass die Nachfrage nach Öl ihren historischen Höhepunkt überschritten hat. Bisher erwartete die Energiebehörde IEA diesen Gipfel für das kommende Jahrzehnt. Carbon-Tracker- Experte Bond glaubt dagegen, dass der Corona-Schock den Wendepunkt schon jetzt gebracht hat.

„Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen“, ist Bond sicher. Bis sich die Ölindustrie von der derzeitigen Krise erholt habe, dürften Wind- und Sonnenenergie so weit entwickelt sein, dass sie eine wachsende Nachfrage nach Energie auffangen könnten, erwartet er. Anders gesagt: Öl wird wahrscheinlich nie mehr so dringend gebraucht wie vor Corona.

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