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Wirtschaft: Nikolaus Geyer

Geb. 1968

Er hat Grenzen ausgelotet. Es bleibt: ein unvollständiges Puzzle. Ein Fotograf wird in einem Kölner Hotel erschlagen, vermutlich mit einem Golfschläger. Die Boulevard-Zeitungen schreiben, Berlins bester Promi-Fotograf sei grausam ermordet worden. Wie es dazu kam, ist seinen Freunden und der Polizei bislang unklar.

Das brutale Ende passt so gar nicht zu dem Jungengesicht mit der weichen Haut, zu der verletzlichen Seele, die Nikolaus Geyer zu dem machte, was er war.

Er fehlt. Da ist eine Lücke, die nicht mehr aufzufüllen ist. Es schmerzt die Freunde, nie wieder „Termine machen zu können“ mit Nikolaus. Am Samstagmittag ein kurzer Anruf: „Ich bin in der Stadt, lass uns sehen.“ Damit ist alles gesagt. Wenn er einen Freund oder eine Freundin sehen will, hält er sich nicht mit Kleinigkeiten auf.

Ein eigensinniger Charakter, einer, der sich einmischt. Er testet Grenzen aus und überschreitet sie. Das Gegenüber muss sie immer wieder neu ziehen. Die Intensität, die er erwartet, ist nicht jeder gewillt zu geben – doch wer sich darauf einlässt, der bekommt etwas zurück. Einen intelligenteneloquenten, und interessierten Begleiter. Mal einen väterlichen Freund, der die Leute in seiner Küche mit den vielen Fotos aufwändig bekocht, mal einen unbequemen Besserwisser, der ganze Gespräche rekapitulieren kann, auch wenn sie Jahre zurückliegen.

Die liebsten Treffen sind ihm die zu zweit, stundenlang. Meistens geht es um Beziehungen, manchmal um Politik, immer darum, Gefühle zu verstehen. Er sitzt dann kerzengerade aufgerichtet, der Oberkörper ist gespannt wie eine Metallfeder. Eine Freundin sagt: „Er hat die Menschen förmlich aufgesogen.“ Oft lässt er sie nach einem langen Abend mit dem Gefühl zurück, in sie hineingesehen zu haben. Was er gesehen zu haben glaubt, teilt er auch denen mit, die ihn nicht darum gebeten haben. Er erlaubt sich schnell ein Urteil, auch ein hartes. Und sei es, dass er jemanden erst eine halbe Stunde zuvor auf einer Party kennen gelernt hat. Er liegt nicht immer richtig, aber oft.

Als Fotograf bewegt er sich zwischen der Glitzerwelt der Reichen und der Schönen und einer ganz anderen: Er porträtiert Länder, die vom Krieg zerrüttet sind. Er bewegt sich zwischen Joop, den Fantastischen Vier, Politgrößen und Beirut. Sein Blick auf diese Stadt wurde seine Diplomarbeit, für die er später einem renommierten Preis bekommt.

Er möchte immer die Kontrolle behalten, trinkt keinen Tropfen Alkohol, auch dann nicht, wenn er tief verzweifelt ist: Schmerz gehört zum Leben. Der Wunsch nach Kontrolle macht es ihm manchmal schwer, sich in Beziehungen ganz gehen zu lassen, obwohl er es sich wünscht. Zu große Nähe hält er sich mit Ironie oder aufgesetztem Machismo vom Hals.

Es schmerzt, nicht zu wissen, warum er sterben musste. Wer hat das entschieden? Jeder hat Geheimnisse, hatte er ein besonderes, eines, das ihn in Gefahr gebracht hat? Hat er etwas geahnt? Oder ist er arglos in eine Falle getappt?

Er hat Grenzen ausgelotet, das ist sicher. Jetzt ist es, als habe er allen ein letztes, schwieriges Puzzle zu lösen aufgegeben, und es liegen längst nicht alle Teile auf dem Tisch. „Ich glaube, dass man seine Tiefen nie wirklich hätte ergründen können“, sagt die Freundin. Möglich, dass ihm das sogar recht war.

Vielleicht ist es am Ende so, dass der Fotograf als Metapher für den Menschen Nikolaus Geyer steht: Ein Beobachter, der mit viel Geduld auf den Moment wartet, den er für den ehrlichen seines Gegenübers hält. Den Moment, in dem die Fassade der Selbstdarstellung bröckelt, in dem er einen Menschen ganz bei sich selbst wähnt. Seine Fotos wirken kühl, distanziert, mit großem Aufwand künstlich inszeniert. Aber meist finden sich Spuren von Zuneigung oder Ironie darin – um sie zu entdecken, muss man die Bilder genau betrachten. Da hat der Fotograf die Rolle des Beobachters kurz verlassen. Da sollte man ihn erkennen.

Am Telefon hat er sich selten mit seinem Namen gemeldet.

Marc Neller

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