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Wirtschaft: Noch im Spiel

Manager über 60 Jahre kommen international in Mode. Doch um rüstige Rentner zu reaktivieren, sind kluge Konzepte gefragt

Mit 60 Jahren startet Ex-Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann- Dennhardt beruflich noch einmal neu durch: Kaum endete ihre Amtszeit an Deutschlands höchstem Gericht – sonst die Krönung jeder Richter-Laufbahn – engagierte Daimler-Chef Dieter Zetsche die Juristin als Vorstand für das neu geschaffene Ressort Integrität und Recht. Nach einem langsamen Ausstieg aus dem Berufsleben, der sonst für viele in diesem Alter ansteht, sieht das für Hohmann-Dennhardt nicht aus.

Auch Oswald Grübel will weder rasten noch rosten. Der 67-Jährige Banker ist inzwischen sogar zum zweiten Mal aus seinem ursprünglichen Vorruhestand zurückgekehrt, um ein Schweizer Geldhaus zu sanieren. Nach seinem erfolgreichen ersten Feuerwehr-Einsatz bei der Credit Suisse hat der Unruheständler gerade auch beim größten Schweizer Finanzinstitut UBS die Rückkehr zu schwarzen Zahlen geschafft. In der Branche heißt es bewundernd: „So einen lässt man doch nicht zu Hause versauern.“

Methusalem-Manager wie Oswald Grübel oder auch Ekkehard Schulz, der gerade mit 69 seinen Platz als Vorstandsvorsitzender bei Thyssen-Krupp geräumt hat, könnten in Mode kommen.

Zwangsweise. Denn der Wirtschaft droht ein gewaltiger Aderlass: Die Generation der so genannten Baby-Boomer geht in Rente. Die Gruppe der heute 55- bis 64-Jährigen ist mit einer Erwerbsquote von 56 Prozent die größte. Und an jüngeren Arbeitskräften wachsen längst nicht mehr genügend nach.

SENIOREN GESUCHT

Einige Firmen haben das bereits erkannt. Zu den wenigen Pionieren hierzulande zählen Mittelständler wie Autoteile-Lieferant Brose, der schon 2003 mit dem Slogan „Senioren gesucht“ Aufmerksamkeit erregte und der westfälische Elektronikproduzent Phönix Contact, der über 50-Jährigen zum Beispiel die Wahl aus bis zu 75 Arbeitszeitmodellen ermöglicht, damit sie ihr Privat- und Berufsleben bequem unter einen Hut bringen können. Gelernt haben sie von den Japanern.

Prominentestes Beispiel unter den japanischen Marathon-Managern ist Kazuo Inamori. Der heute 79 Jahre alte Gründer des Industriekonzerns Kyocera, dessen Stiftung alljährlich den renommierten Kyoto-Preis für überragende Leistungen in Wissenschaft und Kunst vergibt, hat sich im Alter von 77 Jahren überreden lassen, die Fluglinie Japan Airlines aus dem Bankrott zu führen. Er arbeite sehr intensiv an der Rettung und habe dabei auch schon vier Kilo abgenommen, lässt er im Sinne der fernöstlichen Fitness-Philosophie verlauten (siehe Text links).

In Europa wiederum hat Norwegen Maßstäbe in Sachen fortgeschrittenstes Verrentungsalter gesetzt: Erst mit 67 Jahren ist im hohen Norden Schluss mit dem Job – egal, ob Frau oder Mann, Manager oder nicht. Den neuen europäischen Methusalem-Rekord allerdings dürften demnächst die Iren aufstellen: Schon 2028 soll das Renteneintrittsalter für jedermann 68 Jahre betragen.

Dagegen kämpfen Italien und Schweden ebenso wie China gegen eine so hohe Jugendarbeitslosigkeit an, dass sich der Fokus dieser Länder nicht auf die Weiterbeschäftigung Älterer richtet.

MANAGER GEHEN OFT FRÜHER

In Deutschland haben sich erst wenige Unternehmen auf die „neuen Alten“ eingerichtet, die sich für fit und fähig halten, über die gesetzliche Altersgrenze weiterzuarbeiten. Das wichtige Talentreservoir bleibt oft ungenutzt.

Ganz im Gegenteil, noch immer schicken Konzerne wie die Telekom Endfünfziger scharenweise in den Vorruhestand. Dabei herrscht besonders in der Deutschland AG offenbar die Meinung vor, dass Vorstände schneller altern als die übrigen Mitarbeiter. Während Otto-Normalarbeitnehmer immer später in den Ruhestand wechselt, beginnt für ihre Chefs immer früher das Rentnerdasein. Nach einer Erhebung der Unternehmensberatung Booz& Company ist das Durchschnittsalter, mit dem sich Vorstände freiwillig oder unfreiwillig verabschieden, von 2003 bis 2009 von 59 auf knapp 56 Jahre gesunken.

Heute ist es in Deutschland zudem üblich, Führungskräfte deutlich unter 65 nach Hause zu schicken: Nach einer Auswertung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem vergangenen Jahr gilt die Regelaltersgrenze nur noch in einem Viertel der Betriebe. Etwa die Hälfte schickt Manager mit 60 in Rente. Beim restlichen Viertel setzen die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung schon für 62- oder 63-Jährige Manager ein. Zwar heißt das nicht, dass jedes Vorstandsmitglied mit 60 oder 62 tatsächlich geht. Vielfach erhalten sie im Anschluss aber nur noch ein- oder zweijährige Verträge. Diese können in einigen Konzernen bis zum 65. Lebensjahr verlängert werden.

Die Unternehmen können sich diese Haltung aber aufgrund der demografischen Entwicklung nicht länger leisten. „Mit vorzeitigen Pensionierungen und Altersteilzeitvereinbarungen müssen wir künftig sehr selektiv umgehen. Das ist zu teuer und der Know-how-Verlust ist zu groß“, sagt Gothaer-Personalvorstand Michael Kurtenbach. Er ist ein Vertreter der schätzungsweise zwei Dutzend deutschen Vorreiter, die für ihr Unternehmen ein lebensphasenspezifisches Personalmanagement betreiben.

Dazu hat sich die Gothaer Versicherung das „Senior Expert Modell“ für Manager der ersten und zweiten Führungsebene einfallen lassen. Sie arbeiten wann und wie sie wollen. Wer aus dem Alltagsdruck mit Personal- oder Budgetverantwortung raus möchte, betätigt sich als Projektmanager, als Berater des Vorstands oder auch als Mentor für den Nachwuchs. „Wir wollen sie länger fit und an Bord halten.“

Allerdings nutzen dieses Angebot gerade mal fünf von zehn der über 60-jährigen Manager. (HB)

Claudia Obmann, Peter Thelen

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