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Auto, Haus, Geld: Alles lässt sich heute bequem mit anderen teilen.

© Montage: Tsp

Nur nutzen, nicht kaufen: Wie die Share Economy unsere Gesellschaft verändert

Teilen mit Profit: Immer mehr Menschen wollen Dinge nur gelegentlich nutzen, statt sie zu besitzen. Firmen wie Uber und Airbnb machen damit gute Geschäfte. Dabei ist Ökonomie und Teilen eigentlich ein Widerspruch.

Von Carla Neuhaus

Vor sieben Jahren waren Brian Chesky und Joe Gebbia pleite. Heute sind sie Multimillionäre, reich geworden durchs Teilen.

Chesky und Gebbia hatten die richtige Idee zur richtigen Zeit. 2007 lebten die beiden jungen Amerikaner in einer Wohngemeinschaft in San Francisco – und brauchten dringend Geld. Als in der Stadt eine Konferenz stattfand, boten sie Fremden an, gegen eine Gebühr bei ihnen zu übernachten. Aus der Not wurde ein Geschäft. Heute ist ihre Plattform Airbnb, über die sie weltweit private Übernachtungsmöglichkeiten vermitteln, eine der am schnellsten wachsenden Internetfirmen. Experten schätzen den Unternehmenswert auf zehn Milliarden Dollar.

Wie Airbnb haben mittlerweile etliche Start-ups Plattformen im Netz geschaffen, über die Verbraucher Güter teilen, tauschen oder leihen: das Gästezimmer, das Auto, das Fahrrad, die Bohrmaschine, das Kinderspielzeug. Konsumforscher Michael Kuhndt schätzt, dass in Deutschland mittlerweile über 200 Start-ups aktiv sind, bei denen das Teilen zum Geschäftskonzept gehört. Wissenschaftler sprechen von der Share Economy: der Ökonomie des Teilens.

Das Internet macht Teilen leichter

Dabei ist die Idee, Dinge zu teilen, tauschen oder leihen, nicht neu. Einen Tauschhandel gab es schon, bevor die Menschen das Geld erfanden. Neu ist, dass Unternehmen im großen Stil Geschäfte machen, in- dem sie Menschen helfen, Dinge zu tauschen. Und dass die Verbraucher das gerne in Anspruch nehmen. Zum einen macht ihnen das Internet das Teilen leichter. Zum anderen sind viele heute weniger versessen darauf, Dinge zu besitzen.

„Die Einstellung der Menschen zum Eigentum hat sich verändert“, sagt Reinhard Loske, Professor für Politik und Nachhaltigkeit an der Universität Witten Herdecke. Früher war es zum Beispiel wichtig, ein Auto zu besitzen. Das Fahrzeug war Ausdruck der eigenen Rolle in der Gesellschaft: Je mehr Geld man verdiente, desto teurer war der Wagen. Und auch sonst ließ sich der Wohlstand des Menschen an der Summe seiner Besitztümer messen. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ galt als erstrebenswertes Ideal.

Eigentum verliert an Bedeutung

Dass das nicht mehr zeitgemäß ist, hat der US-Ökonom Jeremy Rifkin bereits 2000 erkannt. Damals veröffentlichte er sein Buch „Access – Das Verschwinden des Eigentums“. Er prognostizierte, dass das Internet die Bedürfnisse der Konsumenten grundlegend verändern werde. Besitztümer würden „für den ökonomischen Prozess“ unbedeutender. „Die Ära des Eigentums geht zu Ende, das Zeitalter des Zugangs beginnt“, schrieb Rifkin. Heute gilt er als Vordenker der Share Economy.

Vor allem jungen Menschen ist Eigentum heute weniger wichtig. Viele sind im Wohlstand aufgewachsen. Außerdem wechseln sie häufiger Job und Wohnort als einst ihre Eltern. „Junge Menschen sind heute flexibler und mobiler“, sagt Konsumforscher Kuhndt. Und wer flexibel und mobil ist, für den wird Eigentum schnell zur Belastung.

Statt ein  Auto zu kaufen, zahlen viele lieber zum Beispiel für einen Carsharing-Dienst, über den sie jederzeit ein Fahrzeug nutzen können. Mittlerweile machen in Deutschland vier Millionen Menschen von Carsharing Gebrauch – doppelt so viele wie noch vor einem Jahr, zeigt eine Bitkom-Studie.

Wenn alle teilen, können alle mehr nutzen

Auto, Haus, Geld: Alles lässt sich heute bequem mit anderen teilen.
Auto, Haus, Geld: Alles lässt sich heute bequem mit anderen teilen.

© Montage: Tsp

Doch auch wenn Eigentum weniger wichtig wird, heißt das nicht, dass Verbraucher weniger konsumieren. „Die Frage ist, wofür Menschen das Geld ausgeben, das sie sparen, weil sie Dinge teilen“, sagt Professor Loske. Es mag diejenigen geben, die Güter teilen, weil es ökologisch sinnvoll und nachhaltig ist. Es gibt aber auch viele Menschen, die das nur tun, um insgesamt mehr Dinge nutzen können. Statt CDs zu kaufen, zahlen Verbraucher heute eher für einen Streaming-Dienst, der ihnen Zugriff auf eine Vielzahl an Songs verschafft. Modebegeisterte schließen sich im Netz mit anderen zusammen und tauschen Klamotten – nicht um weniger zu kaufen, sondern um mehr zu tragen. Die Share Economy ist deshalb nicht das Ende der Konsumgesellschaft. Sie ist ein immer wichtiger werdender Teil von ihr.

Dabei ist der Begriff der Share Economy ein Widerspruch in sich. Denn Teilen versteht man eigentlich als einen Ausdruck von Hilfsbereitschaft. Wer seinem Nachbarn am Sonntag ein Paket Mehl leiht, wird dafür kaum Geld verlangen. Doch die Firmen, bei denen es zum Geschäftsmodell gehört, dass ihre Nutzer etwas teilen, wollen daran verdienen: Sie machen aus etwas, was früher selbstverständlich war, ein bezahlbares Gut. Blogger Sascha Lobo nennt das „Plattformen-Kapitalismus“.

Gewerkschaften sehen das Modell kritisch

So vermarktet das Start-up Mila mit Sitz in Berlin und Zürich Nachbarschaftshilfe. Über das Onlineportal sollen Menschen zum Beispiel jemanden finden, der ihre Blumen gießt, wenn sie verreisen. Oder der für sie einkaufen geht, wenn sie krank im Bett liegen. Und zwar gegen Geld. Mila verdient pro Deal acht Prozent Provision. Gründer Manuel Grenacher findet das nicht verwerflich. „Wir machen Menschen das Leben einfacher“, sagt er. Die einen bekämen Hilfe, die anderen könnten etwas dazuverdienen.

Gewerkschaften sehen die Angebote der Share Economy dagegen kritisch. Sie fürchten, dass ein neuer Niedriglohnsektor entsteht. Nur wer seine Leistung im Netz möglichst billig mit anderen teilt, kommt zum Zug. Wer zum Beispiel für den Fahrdienst Uber Menschen von A nach B bringt, verdient viel weniger als ein Taxifahrer. „Die Digitalisierung schafft einen erheblichen politischen Handlungs- und Regulierungsbedarf“, heißt es bei der IG Metall.

Die Politik muss umdenken

Regeln und Gesetze für die Start-ups der Share Economy aufzustellen, ist allerdings schwierig. Die meisten Anbieter agieren weltweit, nationalen Vorgaben entziehen sie sich schlichtweg. Die Politik hat das Problem erkannt – und die Share Economy auf die Agenda des nächsten Weltwirtschaftsforums in Davos gesetzt. Die Diskussion über die neue Form des Teilens hat gerade erst begonnen.

Was im Internet alles geteilt wird, lesen Sie hier.

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