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Junge Griechen versammeln sich vor dem griechischen Regierungsgebäude in Athen und protestierten gegen die wirtschaftliche Situation und die hohe Arbeitslosigkeit. (Archivbild von 2011)

© Pantelis Saitas / dpa

OECD-Studie über arbeitslose Jugendliche: Europas verlorene Generation

Millionen junger Menschen sind laut OECD ohne Ausbildung und Beruf, besonders schlimm ist die Situation im Süden Europas. Deutschland steht im Vergleich ganz gut da, doch auch hier gibt es Probleme.

„Verschwendung von Humanpotenzial“: Die Formulierung im neuesten OECD-Bericht macht schaudern, und die zugehörigen Zahlen erst recht: Mehr als 35 Millionen Jugendliche und junge Erwachsene der größten Industriestaaten befinden sich weder in Ausbildung noch im Beruf. Sie sind mehr als nur arbeitslos – eine verlorene Generation, deren mangelhafte Ausbildung auf einen krisengeschüttelten Arbeitsmarkt trifft. „Hier verlieren beide Seiten“, sagte José Angel Gurría, Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), der die Studie über Kompetenzen und Beschäftigungsaussichten junger Menschen am Mittwoch in Berlin vorstellte.

Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, aus dem Ausbildungssystem herauszufallen und keine Beschäftigung zu finden, für unter 30-Jährige doppelt so hoch wie für ältere Arbeitnehmer. Das gilt umso mehr für die südeuropäischen Länder des OECD-Verbunds, in denen die Wirtschaftskrise von 2008 bis heute Auswirkungen auf die Jugendlichen hat: In Spanien, Griechenland und der Türkei liegt die Quote der 15- bis 29-Jährigen ohne Beschäftigung und Ausbildung bei über 25 Prozent – deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 14,9 Prozent.

Das deutsche Ausbildungssystem ist sehr erfolgreich

Allerdings, räumte Gurría ein, seien Studien zwangsläufig etwas langsamer als die Wirklichkeit. Die Erhebungen beziehen sich auf 2012 und 2013, sodass sich jüngste Arbeitsmarktreformen, wie in Spanien, noch nicht in den Zahlen abbilden. Ähnlich hatte im Herbst vergangenen Jahres auch Andrea Nahles argumentiert. Auf dem EU-Beschäftigungsgipfel in Mailand verwahrte sie sich gegen weitere Zahlungen im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit – das Geld sei bei den jungen Leiten noch nicht angekommen.

Und wie steht es um Deutschland? Berlin sei ein guter Ort, diese Studie vorzustellen, scherzte Gurría. Das deutsche Ausbildungssystem sei außergewöhnlich erfolgreich und zeichne dafür verantwortlich, dass hierzulande nur knapp zehn Prozent des Nachwuchses beschäftigungslos seien – unter den Hochqualifizierten gar nur 5,7 Prozent.

Der Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt sei gut eingespielt, sodass es fast schon einen „Mythos“ vom deutschen Ausbildungswesen gebe. Gurría warnte jedoch vor überschwänglichen Projektionsphantasien. Die Möglichkeiten praktischer oder dualer Ausbildungen seien zwar ein „kraftvolles Werkzeug“ für den Arbeitsmarkt, weil die Firmen langfristig in den Lernprozess einbezogen seien. „Aber dieses System ist in Deutschland gewachsen und nicht mal eben so auf andere Staaten übertragbar.“

Besonders junge Leute arbeiten prekär

So schön die Zahlen für Deutschland sind, so sehr ist die nachwachsende Generation hier wie in den anderen Staaten von prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Ein Viertel aller jungen Erwachsenen ist in befristeten Verträgen beschäftigt, und in fast allen OECD-Ländern liegt ihr Armutsrisiko über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Gurría appellierte an die Staaten, den jungen Arbeitnehmern gesetzlich ein Minimum an vertraglicher Sicherheit zu schaffen. Zugleich mahnte er die Firmen, junge Leute einzustellen, auch wenn sie noch ohne Arbeitserfahrung seien.

Um langfristige Beschäftigung zu ermöglichen, müssten schiefgelagerte Beschäftigungsverhältnisse vermieden werden, so Gurría. So sind im OECD-Schnitt zwölf Prozent der jungen Arbeitnehmer für ihren Job überqualifiziert, während viele im Gegenzug zu schlecht ausgebildet seien und keine Fortbildungsmöglichkeiten bekämen. Es sei verständlich, dass man den Job ergreife, der sich anbiete. Doch wo Akademikerinnen in Hilfsjobs anheuern oder Jugendliche mit mangelhaften Lesekenntnissen ihre Arbeitgeber unglücklich machen, entsteht langfristig ein Teufelskreis aus Über- und Unterqualifizierung, bei dem nicht zuletzt die persönlichen Stärken langfristig verloren gingen – jenes „Humanpotenzial“, das die OECD aufs Spiel gesetzt sieht.

Dabei belegt die Studie auch die Relevanz solcher Soft Skills. Mitnichten sind allein fachliche Kenntnisse oder technische Fähigkeiten gefragt, um eine Anstellung zu finden. Die vorangehende OECD-Vergleichsstudie „PIAAC“ hatte gezeigt, dass es zehn Prozent der jungen Absolventen an Lesekompetenz mangelt und sich 14 Prozent schon mit Alltagsmathematik schwertun. In dem aktuellen Bericht betont die OECD jetzt nicht nur erneut die Bedeutsamkeit frühkindlicher Bildung, sondern hebt neben der kognitiven Eignung auch emotionale und soziale Fähigkeiten hervor: Autonomie, Verantwortungsbewusstsein, Toleranz und kritisches Denken seien „notwendig für demokratische Gesellschaften“ – und damit indirekt auch für einen funktionierenden Arbeitsmarkt.

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