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Wirtschaft: „Öffentlich ist wesentlich“

Verdi-Chef Frank Bsirske will einen starken Staat

Leipzig - Als „richtig guten Obertankwart“ lobte ein Gewerkschafter seinen Vorsitzenden nach dessen Grundsatzrede zur Lage Europas, zur deutschen Politik und den Arbeitsbedingungen hierzulande. Optimismus und Selbstbewusstsein tanken – das ist der tiefere Sinn von Gewerkschaftstagen. Frank Bsirske weiß das, und so reklamierte er auf dem Verdi-Bundeskongress in Leipzig nach dem „Jahrzehnt der Entstaatlichung“ nun die „Rückgewinnung des Sozialen“. Die Zeit sei reif dafür, glaubt Bsirske, und erklärt den Wandel mit der Krise. „Das Verlangen nach Gerechtigkeit wächst.“

Den Dienstag hatte der Verdi-Chef mit einem Auftritt in der Leipziger Filiale von Amazon begonnen. Bsirske sprach um 06.00 Uhr auf einer Betriebsversammlung des Versandhändlers, um den Beschäftigten Mut zu machen bei ihren Bemühungen um bessere Bezahlung: Die Amazon-Mitarbeiter im Westen bekommen 300 Euro mehr als ihre Kollegen im Osten. Überhaupt seien die Einkommensunterschiede im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland am stärksten gewachsen, rechnet der Vorsitzende dann später den Kongressdelegierten vor: „Die Hälfte der Bevölkerung besitzt weniger als zwei Prozent des gesellschaftlichen Vermögens, während sich in den Händen der Superreichen, also des reichsten einen Prozents, rund 36 Prozent des Vermögens konzentriert.“ Eine Folge des „entfesselten Kapitalismus“.

Nun redet der Verdi-Chef, selbst Mitglied der Grünen, nicht dem Sozialismus das Wort. Doch die ökonomischen Verwerfungen der vergangenen drei Jahre – von der Immobilien- zur Finanzmarktkrise, von der Schulden- zur Währungskrise – sieht Bsirske als „Systemkrise eines Typs von Kapitalismus, in den uns 30 Jahre neoliberale Politik geführt hat“. Die „Ökonomie der Maßlosigkeit“ mit ihren hohen Renditeansprüchen überfordere zunehmend die Menschen und zerstöre ihre Lebensbedingungen. Dagegen setzt Bsirske ein funktionierendes Gemeinwesen, den Zusammenhalt einer homogenen Gesellschaft. Wohin Privatisierungen führen können, erläutert er am Beispiel der Hauptstadt: Wegen des geplanten Börsengangs der Bahn sei die Instandhaltung der Berliner S-Bahn vernachlässigt worden; in der Folge brach der Betrieb zusammen. Und bei der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe hätten die Konzerne eine so hohe Garantierendite zugesichert bekommen, „dass Berlin heute den mit Abstand höchsten Wasserpreis unter den deutschen Großstädten hat“.

Also mehr Staat. Oder, in Bsirskes Worten: „Öffentlich ist wesentlich.“ Konkret spricht er die öffentlichen Dienstleistungen in Pflege- und Erziehungsberufen an, die deutlich besser bezahlt gehörten. Das Geld dafür sei da, wenn die „sehr hohen Einkommen und Vermögen, Kapital- und Unternehmensgewinne wieder deutlich stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden als bisher“.

Für Europa und den Euro empfiehlt Bsirske Euro-Bonds, mit denen die Spekulation gegen einzelne Staaten gestoppt werden könne, und eine gemeinsame Wirtschaftsregierung. Die könne „mit einer eigenen Einnahmebasis etwa in Form der Transaktionssteuer ausgestattet sein“. Ohne diese Schritte komme Griechenland nicht aus der Schuldenfalle und werde „das Diktat der Finanzmärkte“ nicht gebrochen, glaubt Bsirske. Freude machte er den Delegierten auch mit seinen Vorschlägen für den Bankenbereich. Zum Beispiel einen „Finanz-TÜV“, der Finanzprodukte verbieten soll, „die keinen Nutzen haben“. Es gehe letztlich um die Demokratie. „Wer bestimmt eigentlich die Richtung der Politik im Lande? Die Herren in den Bankentürmen oder die gewählten Volksvertreter?“ Alfons Frese

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