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Wirtschaft: „Ökonomen haben keinen Vorsprung“

Herr Ortlieb, warum bieten die Ökonomen keine Lösungen für die Krise an?Ich vermute, weil sie selber nicht richtig verstehen, worin die Krise besteht.

Herr Ortlieb, warum bieten die Ökonomen keine Lösungen für die Krise an?

Ich vermute, weil sie selber nicht richtig verstehen, worin die Krise besteht. Die vielen Professoren, die sich jetzt streiten, sind auch keine besseren Experten als der normale Zeitungsleser.

Die Professoren berufen sich auf wissenschaftliche Methoden und Modelle.

Es gehört zum Geschäft, für die eigene Zunft zu trommeln. Die Ökonomie muss den Anschein erwecken, die Dinge im Griff zu haben. Das gelingt den Wirtschaftswissenschaftlern aber immer weniger. Der Aufruf der Professoren um Hans- Werner Sinn hat Stammtischniveau.

Damit kommen die Ökonomen immerhin in die öffentliche Debatte. Mit Modellen ist das schwierig.

Die wirtschaftswissenschaftlichen Modelle haben mit der kapitalistischen Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Das kann man im Detail nachweisen. Gleichzeitig nehmen die Ökonomen aber Stellung zu realen Entwicklungen. Das passt nicht zusammen. Weil sie sich auf ihre Modelle nicht mehr verlassen können, greifen sie zu Allerwelts-Argumenten. Die Ökonomen haben keinen Vorsprung bei der Beurteilung der aktuellen Situation.

Worin liegt ihre größte Schwäche?

Es werden Modellannahmen gemacht, die nur unter ganz speziellen Bedingungen erfüllt sind. Diese Annahmen werden bei den Schlussfolgerungen einfach unter den Teppich gekehrt. Zum Beispiel tut die neoklassische Theorie einfach so, als befänden sich Märkte immer in einem stabilen Gleichgewicht.

Warum konsultiert die Politik dann überhaupt noch Wirtschaftswissenschaftler?

Die Politik erzeugt Druck, weil sie kalkulierbare, umsetzbare Maßnahmen empfohlen bekommen möchte. Deshalb werden ökonomische Richtungen bevorzugt, die vorgeben, klare Handlungsanweisungen geben zu können. Mit der eher sozialwissenschaftlichen Ökonomie kann die Politik nicht viel anfangen.

Was müsste sich ändern?

Die Ökonomie müsste stärker darüber nachdenken, was für eine Wissenschaft sie ist – eine Sozialwissenschaft. Der Wissenschaftler selbst ist Teil des Ganzen. In der Naturwissenschaft kann man von außen auf die Welt schauen. Diese Tatsache wird von der Wirtschaftswissenschaft überhaupt nicht reflektiert.

Haben Ökonomen aus der Krise gelernt?

Ich setze auf die Studierenden, die während der Finanzkrise feststellen, dass die Wissenschaft, die ihnen beigebracht wird, kaum etwas zur Lösung der realen Probleme beiträgt. Das ist aber ein langfristiger Prozess. Da müssen mehr Professoren in Rente gehen und die Jungen ran.

Das Interview führte Henrik Mortsiefer.

Claus Peter Ortlieb

ist Professor am Fachbereich Mathematik der Uni Hamburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind mathematische Modellierung sowie Ökonomiekritik und Krisentheorie.

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