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Wirtschaft: Offene Rechnung

Die Firmen bilden zu wenig aus, finden Politiker. Stimmt nicht, sagt die Wirtschaft – die Schüler sind nicht klug genug

Sieben mal acht – das ist das Problem von Johannes Weber. Oder sechs mal fünf. Gelegentlich sind es auch vier mal neun. Johannes Weber verzweifelt manchmal daran. Nicht, weil er diese Aufgaben nicht lösen könnte. Sondern weil es die Jungen und Mädchen nicht können, die sich um eine Lehrstelle in seiner Maschinenbaufabrik im nordbayerischen Kronach bewerben. „In einem Vorstellungsgespräch mit den jungen Leuten muss man dann ruhig bleiben – auch wenn man am liebsten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde“, erzählt der ansonsten fröhliche Unternehmer. „Ein bisschen Mathematik sollte ein angehender Mechatroniker aber schon können. Und als Energieanlagenelektroniker sollte man Gleichstrom und Wechselstrom auseinander halten können.“

Nur noch rund jeder vierte Betrieb in Deutschland bildet aus. Im vergangenen Jahr blieben schätzungsweise 35000 Jugendliche ohne Lehrstelle. Schuld daran, so die Unternehmer, sind die anhaltend schlechte Wirtschaftslage, die Ausbildungs-Bürokratie, die hohen Azubi-Gehälter – und die immer dürftigeren Kenntnisse der Bewerber. Zehn Prozent der 15-Jährigen verlassen die Schule als Analphabeten, schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. „Während die Ausbildung immer anspruchsvoller wird, können immer mehr Schulabgänger nicht richtig lesen, schreiben und rechnen“, beklagt Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Handwerksverbandes ZDH.

Auch deshalb haben sich Handwerk, Industrie und Handel heftig gegen die Ausbildungsplatzabgabe gewehrt – und die Schuld an der Misere bei der Lehre von sich gewiesen. Offenbar mit Erfolg: SPD und Grüne wollen es der Wirtschaft jetzt ermöglichen, das Inkrafttreten der Abgabe um ein Jahr zu verschieben. Voraussetzung: Sie müssen sich schriftlichen auf mehrere Jahre verpflichten, ausreichend Lehrstellen zu schaffen. Damit nimmt die Regierung den Vorschlag von Ludwig Georg Braun eines Ausbildungspaktes zwischen Staat, Behörden und Unternehmen an. Das Gesetz für die Ausbildungsabgabe soll dennoch kommende Woche im Bundestag verabschiedet werden.

Weder ein Pakt noch ein Gesetz werden aber Gerhard Braun nützen. Er wollte im Herbst 32 Jugendliche einstellen, um sie in seinem Unternehmen für Medizin-Textilien im pfälzischen Wolfstein zum Schlosser, Maschinenführer oder zum Industriekaufmann auszubilden. „Von 400 Bewerbern waren aber nur 19 geeignet, 13 Lehrstellen mussten frei bleiben“, sagt er. Die meisten hätten miserable Zeugnisse gehabt – oder waren lustlos und unmotiviert.

Einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages zufolge beklagt jede zweite Firma, dass neue Azubis nicht ausreichend gebildet sind. Simpelste Fertigkeiten wie Rechnen und Rechtschreibung beherrschen die Jugendlichen demnach nicht - haben sie einen ausländischen Hintergrund, sind sie besonders häufig betroffen. Kein Wunder: Fast zehn von hundert Jugendlichen verlassen mittlerweile die Schule ohne Abschluss, oder sie sind „nicht ausbildungsreif". 1990 waren es erst 8,6 Prozent. Aber auch die 25 Prozent eines Jahrgangs, die einen Hauptschulabschluss machen, haben es schwer, eine Lehrstelle zu finden.

Um das Versagen von Schulen und Elternhäusern auszubügeln, versuchen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften, die jungen Leute mit zahlreichen Projekten auf den Berufsalltag vorzubereiten – von der Hausaufgabenhilfe bis zum Englischkurs. „Meist geht es dabei nicht allein um Lernstoff, sondern auch um soziale Fähigkeiten“, sagt Geerd Woortmann, Ausbildungsexperte beim DIHK. Niemand weiß, was die aufwändigen Nachschulungen kosten. Doch bei geschätzten 90000 Problemfällen pro Jahr kommt schnell eine dreistellige Millionensumme zusammen.

Doch das Engagement hat Grenzen, findet Handwerksfunktionär Schleyer. „Die Betriebe können nicht dauerhaft für Versäumnisse von Schule und Elternhaus gerade stehen, zumal in Zeiten schärferen Wettbewerbsdrucks.“ Ausbildungsexpertin und IAB-Chefin Jutta Allmendinger sorgt sich deshalb, dass in einigen Jahren die Fachkräfte fehlen könnten. „Wir stecken in der Klemme – es gibt nicht nur zu wenig qualifizierte Jugendliche, bald wird es auch durch die demografische Entwicklung und den technischen Wandel zu einem spürbaren Engpass an Fachkräften kommen.“ Etwa 2010, so Allmendinger, wird es so weit sein – wenn nicht schnellstens Konsequenzen aus der Bildungsmisere gezogen würden.

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