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Offener Brief der Ökonomen: „Die Öffentlichkeit hat mehr Aufklärung verdient“

Helmut Lütkepohl vom DIW Berlin hat den offenen Brief der Ökonomen unterzeichnet. Im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt der Wirtschaftsprofessor, dass es ihm darum geht, Aufmerksamkeit für das Thema bei breiteren Bevölkerungskreisen zu erwecken.

Der offene Brief zahlreicher Ökonomen an Bundeskanzlerin Angela Merkel wird von Politikern und Kollegen heftig kritisiert. Herr Lütkepohl, Sie haben unterzeichnet. Warum?

Weil ich die Sorge teile, dass die Haftungsrisiken, die sich aus den Beschlüssen ergeben könnten, sehr hoch und schwer kontrollierbar sind. Außerdem befürchte ich, dass einzelne Banken größere Risiken eingehen, wenn sie im Notfall nicht selbst dafür haften müssen.

Sind Sie überrascht von den Reaktionen?

Ja.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble, dass Sie und Ihre Kollegen mit „Horrormeldungen“ Verwirrung in der Öffentlichkeit stiften?

Ich habe eher den Eindruck, dass von einigen Politikern nicht viel getan wird, den Bürgern die möglichen Risiken in vollem Umfang darzustellen. Auch wenn dies in gewissem Sinne nachvollziehbar ist, so finde ich doch, dass die Öffentlichkeit hier mehr Aufklärung verdient.

Stimmt der Ton der Erklärung, in der von „der Wall Street, der City of London“ und maroden in- und ausländischen Banken die Rede ist, die nun weiter zulasten der Bürger anderer Länder ihre Geschäfte betreiben dürfen?
Ich habe den Aufruf nicht selbst formuliert und auch nicht an der Formulierung mitgearbeitet. Sicher hätte ich andere Formulierungen gewählt. Die hier benutzten Formulierungen haben aber offenbar die gewünschte Aufmerksamkeit erregt.

Einige Kollegen werfen Ihnen vor, Ängste vor einer Bankenunion zu schüren, ohne dies mit den erforderlichen Fakten zu hinterlegen. Von einer zusätzlichen Haftung könne nicht die Rede sein, erklärt Bundeskanzlerin Angela Merkel.

In der Tat handelt es sich hier um einen Aufruf und nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung. Einige der Kollegen haben sich aber sehr wohl mit einer Quantifizierung der Risiken befasst. Sicher könnten sie dazu auch konkrete Zahlen vorlegen. Der Aufruf soll ja gerade dazu dienen, dass die Bundeskanzlerin dafür Sorge trägt, dass tatsächlich keine zusätzliche Haftung für Risiken übernommen werden muss. Und ich wünsche ihr, dass es ihr gelingt.

Ihnen und Ihren Kollegen wird vorgeworfen, Sie betrieben Stammtisch-Ökonomie.
Die Wortwahl zielt natürlich darauf ab, Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Problem bei breiteren Bevölkerungskreisen zu erwecken. Wie das von den Kollegen genannt wird, ist vielleicht weniger wichtig als die Frage, ob das Ziel erreicht worden ist.

Sie fordern, „Banken müssen scheitern dürfen“. Hat Lehman nicht gezeigt, welche katastrophalen Folgen das haben kann?
Genau da liegt ja das Problem. Banken können nach wie vor Risiken eingehen, die dann Probleme in anderen Bereichen hervorrufen, die diese Risiken nicht verursacht haben. Es wäre aus meiner Sicht wichtig, diejenigen, die an der Risikoübernahme verdienen, stärker an den Verlusten zu beteiligen.

In dem offenen Brief werden keine weiteren Lösungen für die Schuldenprobleme genannt.Welche Lösung schlagen Sie vor?
Ich denke, es wäre wichtig, dass die vielfältigen strukturellen Probleme nicht nur in den Banken, sondern generell in den Ländern der Euro-Zone gelöst werden. Gut wäre es, wenn man dann Mechanismen finden könnte, die automatisch dazu führen, dass die jetzt vorliegenden Probleme gar nicht erst entstehen. Hierfür wäre es wichtig, die Anreizsysteme richtig zu setzen. Zum Beispiel: Wer hohe Risiken eingeht und damit viel Geld verdient, sollte auch hohe Verluste tragen müssen.

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Ökonom in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation?
Ich beschäftige mich im Wesentlichen mit der Weiterentwicklung von Methoden, die zur Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge benutzt werden können. Die verfügbaren Methoden müssen den neuen Realitäten angepasst werden, um die zugrunde liegenden Zusammenhänge besser erkennen zu können. Kollegen mit anderen Forschungsgebieten stehen vor ähnlichen Problemen. Wir müssen unsere Methoden und Modelle so anpassen, dass wir künftig in ähnlichen Situationen besser gewappnet sind. Natürlich können wir der Politik nur Ratschläge geben. Wie weit die umsetzbar sind, müssen die Politiker dann entscheiden.

Gelingt Ihnen das?
Ja, ich denke, seit Ausbruch der Krise wurden viele gute Analysen mit neu entwickelten Modellen und Verfahren gemacht.

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