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Wirtschaft: „Ohne Ausweis gibt es kein Geld vom Amt“

Sozialarbeiterin Elfriede Brüning weiß, warum Obdachlose ihre Ansprüche oft nicht geltend machen

Frau Brüning, warum gibt es in Deutschland Bettler und Obdachlose? Jeder hat doch Anspruch auf Sozialleistungen.

Viele, die zu uns in die Beratungsstelle für Wohnungslose nach Berlin-Tiergarten kommen, haben einen langen Weg auf der Abwärtsspirale hinter sich. Sie haben nicht mehr die Kraft, ihre Ansprüche einzufordern.

Aber was ist so schwer daran, zum Amt zu gehen und sich sein Geld abzuholen?

Man braucht eine Anschrift, und ohne Ausweis bekommt niemand Geld vom Amt. Vielen fehlen selbst die acht Euro für das Automaten-Passbild. In der Beratungsstelle helfen wir Obdachlosen, einen Ausweis zu beantragen, und sie können unsere Postanschrift angeben.

Warum gelingt es den Behörden nicht, flexibler auf die Notlage dieser Menschen zu reagieren?

Die Mitarbeiter in den Jobcentern können auf komplizierte Einzelfälle nicht immer eingehen. Oft kommen die Wohnungslosen vom Amt und wissen immer noch nicht, was sie jetzt machen müssen.

Sind Obdachlose nicht vielleicht auch häufig zu undiszipliniert, um Termine einzuhalten oder Auflagen zu erfüllen?

80 Prozent der Wohnungslosen, die ich hier in Berlin-Tiergarten betreue, schaffen es, Termine einzuhalten. Nur Schwerstalkoholiker oder psychisch Kranke können das zum Teil nicht.

Viele Leute geben Bettlern kein Geld, weil sie fürchten, dass diese es ohnehin für Alkohol ausgegeben. Wie verhalten Sie sich?

Ich gebe auch etwas, wenn ich weiß, dass der Bettler sich Schnaps davon kauft. Er ist ein freier Mensch, der selbst entscheiden muss, was er mit dem Geld macht.

Wie viele Obdachlose kommen denn pro Jahr in die Beratungsstelle?

2005 waren es 1335. Auch die Bahnhofsmission schickt Menschen zu uns.

Und wie viele Menschen leben in Berlin in absoluter Armut?

4000 bis 6000 Berliner leben auf der Straße. Dazu kommen 8000 bis 9000, die in Wohnheimen untergekommen sind. Aber die Dunkelziffer ist groß, weil viele keine Hilfe in Anspruch nehmen.

Warum nicht?

Sie wollen entweder alleine zurechtkommen oder sie versprechen sich nichts davon. Viele haben resigniert.

Das Gespräch führte Dagny Lüdemann

Elfriede Brüning von der Caritas kümmert sich seit 17 Jahren um Obdachlose in Berlin. Viele von ihnen leben in absoluter Armut, obwohl sie Anspruch auf staatliche Unterstützung hätten.

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