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Wirtschaft: „Ohne Biotech wird Europa so arm wie Afrika“

US-Ökonom Lester Thurow über Globalisierung, Eliteuniversitäten und die europäische Angst vor Neuem

Globalisierung macht vielen Deutschen Angst, weil sie den Verlust von Arbeitsplätzen befürchten. Ist die Globalisierung zu stoppen?

Ich glaube nicht, dass sie angehalten werden kann. Sie geschieht auf Grund des technischen Fortschritts, nicht weil Regierungen sie beschlossen hätten. Sie findet statt, weil Unternehmen nach dem günstigsten Produktionsstandort und nach dem profitabelsten Markt suchen. Aber auch, wenn Globalisierung nicht verhindert werden kann, kann sie doch gestaltet werden. Man kann die Nachteile verringern und die Vorteile vergrößern.

Wo sehen Sie den größten Nachteil?

Das massivste Problem ist der Bildungsabstand. In einer Ökonomie, die immer mehr auf Wissen und immer weniger auf natürlichen Rohstoffen beruht, bekommt jemand ohne Bildung überhaupt keinen Job mehr. Nimmt man die US-Definition für Analphabeten – alle, die nicht auf dem Stand der vierten Klasse lesen und schreiben können –, dann sind etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung Analphabeten. Wenn man also mehr Leute in das System integrieren will, dann muss Bildung erste Priorität sein.

Wie wollen Sie die Bildungslücke zwischen Erster und Dritter Welt schließen?

Die Antwort ist: Baut die Weltbank um! Sie wurde gegründet, um wichtige Infrastrukturprojekte in der Welt zu finanzieren – Häfen, Straßen, Brücken. Dafür gibt es heute ausreichend privates Kapital, wenn sich die Projekte lohnen. Die Weltbank sollte lieber Schulen aufbauen und unterstützen.

Und die Kosten?

Es wäre nicht billig, wenn man es für jeden in der Welt macht. Aber verglichen mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Welt wäre es eine sehr kleine Summe. Zurzeit liegt das Welt-BIP bei 30000 Milliarden Dollar im Jahr. Schon wenn man nur 500 Milliarden davon investieren würde, wäre es verhältnismäßig wenig, aber hätte einen viel größeren Effekt als jede Entwicklungshilfe zurzeit.

Warum sollten Arbeiter aus Deutschland Geld dafür ausgeben, um Menschen in der Dritten Welt auszubilden, nur damit sie später ihre Jobs übernehmen?

Aus einer gewissen Sicht ist das bestimmt richtig. Es ist bloß immer besser, mit wohlhabenden Nachbarn zu leben als mit armen. Außerdem muss die eigentliche Frage sein: Wenn Arbeitsplätze ins Ausland abwandern, kann ich schnell genug wachsen, um sie zu ersetzen. Wenn das BIP schneller wächst als die Produktivität, dann entstehen Jobs.

Aber wie schaffen wir neue Arbeitsplätze?

Auch die Erste Welt muss in Bildung investieren. Deutschland muss sich fragen, in welchem Gebiet es die technologische Führerschaft hat und wo es sie haben will. Zurzeit ist Deutschland vielleicht beim Maschinenbau Spitze. Das ist nicht die Zukunft.

Die deutsche Regierung plant den Aufbau von Eliteuniversitäten, um Impulse zu geben.

Eliteuniversitäten entstehen, wenn man besonders begabte Studenten mit hervorragenden Professoren zusammenbringt. Und dann entstehen viel mehr neue Ideen, als wenn alle Universitäten gleich wären.

Kann dieser Prozess beschleunigt werden?

Wir haben in den USA staatliche Eliteuniversitäten in Berkeley und Michigan. Und das wurden sie, weil sie mehr Geld je Student erhalten.

Geld ist also ausschlaggebend?

Man kann nichts tun ohne Geld. Aber Universitäten müssen auch ihre Studenten über Tests auswählen dürfen. Berkeley muss nicht jeden nehmen, obwohl es von Steuerzahlern finanziert wird. Außerdem müssen Unis ihren Professoren unterschiedliche Gehälter zahlen und sich wieder von ihnen trennen dürfen, wenn sie nicht mehr gut genug sind. Ein Professor muss kein Beamter sein.

Schauen wir in die Zukunft. In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, auch bei guter Steuer- und Bildungspolitik steht die Welt vor einem großen Problem – dem US-Handelsdefizit. Wieso?

Die Welt wird das Defizit nicht ewig finanzieren. Zurzeit wollen alle Regionen – Europa, Asien, egal wer – mehr exportieren als importieren und darüber ihre Wirtschaft wachsen lassen. Die einzigen, die ein Defizit haben, sind die USA. Um das zu finanzieren, brauchen sie aber einen stetigen Zufluss von ausländischem Geld. Auf Dauer geht das schon rein mathematisch nicht gut. Das Defizit muss irgendwann ausgeglichen werden.

Und was passiert dann?

Der Dollar wird stark abgewertet werden, die amerikanischen Unternehmen werden in kurzer Zeit die Importprodukte durch eigene Waren ersetzen – und in der übrigen Welt werden bis zu 30 Millionen Arbeitsplätze wegfallen. Den größten Schaden werden nicht die USA erleiden, sondern der Rest der Welt. Das Zeitalter, in dem sich Länder auf eine Steigerung ihres Exports stützen können, um zu wachsen, geht zu Ende. Die Staaten, sowohl in der Ersten als auch in der Dritten Welt, müssen nach Wegen suchen, Wachstum aus sich heraus zu erzeugen.

Mit welchen Mitteln?

Indem neue Technologien entwickelt werden, die andere kaufen wollen. Bloß: Auch hier sind die USA führend. Unter den zehn größten US-Unternehmen sind sechs, die erst nach 1960 gegründet wurden und nicht durch Fusionen so groß geworden sind – Intel, Microsoft, Wal Mart und so weiter. In Europa sind die zehn größten Unternehmen hundert Jahre alt. Europa braucht einen technologischen Schub. Aber gerade hier fällt Europa zurück. Die Zukunftstechnologie ist Biotechnologie.

Biotech wird ein großer Jobmotor sein?

In jedem Fall. Nanotechnologie, die zukünftige Computertechnologie, die Entwicklung von neuen Medikamenten – alles ist im Prinzip Biotech.

Die meisten Europäer lehnen Biotech ab, wenn es um Lebensmittel geht ...

Dann wird Europa verlieren. Biotech beiseite zu lassen, wird dieselben Folgen haben als wenn die Menschen auf die Elektrizität verzichtet hätten. Strom ist auch nicht ungefährlich. Wie viele Menschen sterben jedes Jahr, weil wir Elektrizität nutzen! Wir haben uns bloß an die Gefahren gewöhnt. Europa muss sich jetzt entscheiden, entweder auch den Weg zur Biotechnologie mitzugehen oder unter Umständen so arm zu werden wie Afrika heute, während die USA in hundert Jahren noch reicher sind. Es gibt keine sichere Welt. Wenn Sie eine haben wollen, dann stellen Sie zuerst den Strom ab.

Das Gespräch führte Bernd Hops.

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