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Wirtschaft: „Ohne Demut kein gesundes Selbstvertrauen“

Benediktiner-Pater Anselm über den Umgang mit der Krise

Börsencrash, Reformstau, Rezession – Pater Anselm, wo können wir uns noch sicher fühlen?

Strategien, die vor Zeiten richtig waren, müssen heute anders oder vollkommen neu gesehen werden. Sicher ist, dass wertvolle Zeit vergeht und jeder Tag des Verharrens die ökonomischen Probleme in Deutschland verschärft. Sicher fühlen könnten wir uns, wenn es gelänge, aus den Wurzeln des Erreichten Lust und Kraft für notwendige Anpassungen zu finden. Wir Deutsche haben aber offenbar die Eigenschaft, nur unter extremem Leidensdruck handlungsfähig zu sein. Ich wünschte, es wäre anders.

Fühlen wir uns schlechter als die tatsächliche Lage rechtfertigt?

Ich kann nicht für die Allgemeinheit sprechen. Aber die Arbeitslosigkeit, die teilweise dramatischen Umsatzeinbrüche in den Unternehmen und die Konsumzurückhaltung lassen schon auf eine bedenkliche Lage schließen. Wir wissen allerdings auch, dass ein guter Teil wirtschaftlicher Erfolge emotional motiviert ist. Das heißt, dass Stimmungen sich in jede Richtung überschlagen. Mir scheint, dass wir Schwierigkeiten haben, uns nach Jahren des Aufschwungs auf eine andere Situation einzustellen. Manchmal frage ich mich auch, wie schlecht es uns wirklich geht, wenn Deutschland über Wochen nur den „Superstar“ zu suchen scheint.

Die Vertrauenskrise lähmt die Wirtschaft. Kann die Regierung daran etwas ändern? Kann sie Vertrauen schaffen?

In der Tat sehe ich eine Vertrauenskrise, die sich nicht nur auf die Politik, sondern auch auf Unternehmen und Gewerkschaften ausgeweitet hat. Vertrauensbildende Maßnahmen sind aber nicht nur Sache der Politik. Wir sollten nicht immer nur auf einen Impuls von einer Seite hoffen und Opfer von anderen erwarten. Ohne kurzfristige wohlfahrtsstaatliche Einbußen wird es aus meiner Sicht zu wirklichen Reformen, die das Wort verdienen, nicht kommen.

Im Boom neigten viele zum Größenwahn, in der Flaute zur Depression. Fehlt es den Unternehmern an Selbstvertrauen?

Unternehmer sind Führungskräfte, aber eben auch Menschen wie Sie und ich, die Fehler machen. Hinterher ist man ja immer schlauer. Zu einem gesunden Selbstvertrauen als Unternehmer gehört neben vielen Eigenschaften ein gutes Stück Demut.

Demut?

Sie haben richtig gehört. Demut hat nichts mit Unterwürfigkeit und vorauseilendem Gehorsam zu tun. Demut heißt auf lateinisch humilitas. Es hat also etwas mit Erdverbundenheit und Bodenhaftung zu tun und steht für die Fähigkeit, die eigenen Stärken und Schwächen realistisch einzuschätzen. Aus dieser Haltung heraus können auch Unternehmer Kraft zum Dienen und Mut zur Verantwortung schöpfen.

Ora et labora, bete und arbeite – eine Handlungsempfehlung für Unternehmer?

Das will ich meinen. Es geht um einen Ausgleich von Anspannung und Entspannung. Beten heißt ja, sich zu bestimmten Zeiten des Tages frei zu machen von der eigenen oft engen Sicht der Dinge und den Blick zu weiten, auf etwas, das den Arbeitstag umgibt und trägt. Wir Benediktiner nennen dieses „Etwas“ Gott. So fühle ich mich von dem Druck befreit, alles alleine stemmen zu müssen. Eine Erfahrung, die ich jeder Führungskraft wünsche.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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