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© dpa

Opel-Verhandlungen: Mit leeren Händen

Alles haben sie versucht: Nächtelang debattiert, sich beschimpfen lassen, Milliarden aus dem Hut gezaubert. Es hat nichts geholfen. Der Opel-Deal ist geplatzt. Die Geschichte einer großen Vergeblichkeit.

Sie hat es nach dem Mittagessen erfahren. Angela Merkel sitzt im Washingtoner Ritz-Carlton mit Größen der internationalen Finanzinstitutionen zusammen, IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn ist dabei und Weltbankdirektor Robert Zoellick. Sie hat noch den minutenlangen Beifall im großen Kuppelsaal des Kapitols im Ohr, mit dem das US-Parlament der Kanzlerin Respekt bekundete. Merkel hat die Rede ihres Lebens gehalten. Viel Zeit, sich zu freuen, bleibt ihr nicht. Irgendwann geht ihr Wirtschaftsberater Jens Weidmann still nach draußen, das Handy in der Hand. Nach dem Nachtisch überbringt er die Botschaft: Der Opel-Deal ist geplatzt. General Motors will den Autobauer behalten. Alles war umsonst.

„Enttäuscht“ und „verwundert“, sagt ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm anderntags, sei die Bundesregierung. „Die Art des Umgangs mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist eigentlich nicht akzeptabel.“ Wilhelm ist ein höflicher Mensch. Man merkt ihm nichts an von der kalten Wut, die in den Augen anderer Regierungsmitarbeiter glitzert, wenn sie von dieser Nacht und dem Morgen danach berichten. Alles hat man getan, um Opel zu retten, hat sich als Wahlkampftaktiker beschimpfen und als ordnungspolitische Sünder verurteilen lassen, hat Milliarden aus dem Hut gezaubert, sich Nächte um die Ohren geschlagen – und jetzt das. „Angesichts eines sich verbessernden geschäftlichen Umfelds für GM in den letzten Monaten und eingedenk der Bedeutung von Opel/Vauxhall für die globale Strategie von GM hat der Verwaltungsrat beschlossen, Opel zu behalten.“ Die offizielle Mitteilung aus Detroit rast um kurz nach 23 Uhr deutscher Zeit um die Welt.

In Deutschland, soweit es irgendwie mit Opel zu tun hat, ist seither die Hölle los, und in Deutschland hat ziemlich viel mit Opel zu tun. Roland Koch braucht zwei Minuten für die Reaktion: „sehr betroffen und verärgert“. Im Opel-Stammwerk Rüsselsheim arbeiten 16 000 Menschen. Der hessische CDU-Regierungschef war treibende Kraft hinter allen Bemühungen, Opel Europa aus dem Mutterkonzern zu lösen und mit dem kanadisch-österreichischen Zulieferer Magna eine eigenständige Zukunft aufzubauen.

„Eine Zumutung“, tobt auch Kurt Beck. Kochs rheinland-pfälzischer SPD-Nachbar weiß nur zu gut: Die rund 2300 Mitarbeiter des Motorenwerks in Kaiserslautern gehören jetzt wieder zu den Gefährdeten. „Mehr als bitter“, sekundiert Thüringens neue CDU-Regierungschefin Christine Lieberknecht. Das Opel-Werk in Eisenach, 1800 Mitarbeiter, rangierte auf längst für obsolet gehaltenen Streichlisten ebenfalls weit oben. Aber all das ist nichts gegen den Zorn des Jürgen Rüttgers. „Dieses Verhalten von General Motors zeigt das hässliche Gesicht des Turbokapitalismus!“, wütet der nordrhein-westfälische Regierungschef. In Bochum-Langendreer arbeiten 5300 Opelaner. Am 9. Mai 2010 sind in NRW Landtagswahlen. So was hat dem CDU- Mann mit dem selbst erfundenen Arbeiterführer-Image gerade noch gefehlt.

Rüttgers ist auch insofern eine Schlüsselfigur in dem Drama, das jetzt so dramatisch endet, als er den „Fall Opel“ seinerzeit als Erster zum Fall für die Politik gemacht hat. Am Morgen des 21. Februar landete er mit einer kleinen Delegation auf dem Flughafen von Detroit. Er will Rick Wagoner treffen. Der Termin mit dem GM-Chef ist seit Wochen vereinbart, jetzt passt er genau. Einen Tag vorher hat Wagoner bei der US-Regierung noch einmal fast 17 Milliarden Dollar Finanzhilfen beantragt. Den Autokonzern hat die Finanzkrise voll erwischt, oder, genauer gesagt: Die Finanzkrise hat seine Krise offenbart. GM, das ist Chevrolet, Buick, Cadillac. Das sind Asphaltpanzer mit fantastischem Benzinverbrauch, Statussymbole, die nur leider nicht mehr in eine krisengeschüttelte Nation passen. 47 000 Stellen werde man abbauen müssen, hat Wagoner angekündigt, 26 000 in Europa. Als Rüttgers nach einer Stunde im 39. Stock des GM-Towers zurückkommt, bringt er zwei Botschaften mit: „Es gibt keine Entscheidung zur Schließung von Standorten in Deutschland.“ Und: „Ich bin froh und glücklich.“

Nein, versichern alle, die es wissen müssen, nein, die Bundesregierung war nicht vorgewarnt. Dass der GM-Verwaltungsrat an diesem 3. November tagen würde, war bekannt. Dass er anders entscheiden würde als beim letzten Mal – keinerlei Anzeichen. Als Merkel mit Obama sprach, kam das Thema nicht vor. Im Flugzeug, auf dem Weg zurück nach Berlin, antwortet die Kanzlerin auf Fragen mitreisender Journalisten schmallippig. Ihr Termin mit Obama sei noch vor Beginn der GMBoard-Sitzung beendet gewesen, rechnet sie nach. Sie hat sich im Griff, Emotionen, zumal vor Journalisten, sind ihre Sache nicht. Auch die Amerikaner versichern später: Wir wussten wirklich nichts. Die Task Force der Bundesregierung, die Verantwortlichen bei „New Opel“, der europäischen Gesellschaft – ahnungslos.

Das ist ja wahrscheinlich auch besser so. Nicht auszudenken, jemand hätte etwas geahnt – und nichts unternommen. Die Zukunft von Opel ist immer ein Politikum gewesen, das Politikum der Krise schlechthin. Drei Tage nach Rüttgers’ Auftritt in Detroit steht Frank-Walter Steinmeier auf einer Tribüne in Rüsselsheim. Hinter ihm hat der Opel-Betriebsrat ein kämpferisches Plakat platziert, in Englisch, damit sie es übern Atlantik hinweg auch verstehen: „Fighting back makes the difference – Nur wer sich wehrt, kann gewinnen!“ Vor Steinmeier steht die Opel-Belegschaft. „Für mich ist es auch ein Gebot des Anstands, in dieser schwierigen Situation hier Flagge zu zeigen“, dröhnt der SPD-Kanzlerkandidat ins Mikrofon. Wochen später steht Angela Merkel in einer Rüsselsheimer Werkshalle vor der gleichen Belegschaft. „Ich dachte, es wäre ziemlich feige gewesen, wenn ich heute nicht gekommen wäre“, sagt die CDU-Kanzlerin.

Und dann, in dieser langen Nacht im Mai, der zweiten Opel-Nacht, haben die Großkoalitionäre den Rettungsplan besiegelt, ein Deal zwischen GM und der US-Regierung und Magna und den Standortländern und dem deutschen Steuerzahler, Letzterer vertreten durch Angela Merkel und Peer Steinbrück. Dass der frischgebackene Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auf dem Weg dorthin beinahe verlustig gegangen wäre, unterstreicht nur die Brisanz des Vorgangs. Guttenberg hatte für Insolvenz plädiert. Er hat Merkel in jener Nacht seinen Rücktritt angeboten. Seither gilt der CSU-Mann als eine Art Siegfried, der in Drachenblut gebadet hat.

Guttenberg sagt an diesem Mittwoch übrigens nichts. Er ist jetzt Verteidigungsminister und nicht mehr zuständig. Sein Nachfolger Rainer Brüderle schließt sich der Durchschnitts-Sprachregelung an: „inakzeptabel“. Der Liberale ist ebenfalls in der Nacht informiert worden, nach Merkel. Brüderle steckt in einer Zwickmühle. Ginge es nach Parteiräson, müsste er jetzt „Ätsch“ sagen. Die FDP hat im Wahlkampf die Staatshilfen für Opel stets anklagend gegen den angeblich darbenden Mittelstand ausgespielt. Brüderle war aber schon mal Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz und insofern in Subventionsfragen noch nie als Überzeugungstäter aufgefallen. Er hat gegen direkte Staatsbeteiligungen gewettert – „keine volkseigenen Betriebe“ –, Kredite und Bürgschaften aber prinzipiell gutgeheißen. Das fügt sich jetzt gut. In der ersten Arbeitssitzung des neuen Kabinetts stört kein Zwischenton die schwarz-gelbe Gemeinschaftswut auf GM.

Die Wut ist echt. Aber sie ist auch ein Schutzschild. Seit der langen Nacht im Kanzleramt im Mai ist Opel so etwas wie ein Protektorat der Politik geworden. Dass GM das letzte Wort habe, ist als Randbemerkung zwar immer noch amtlicherseits eingeflochten worden. Aber es war amtlicherseits auch ganz recht, dass in Wahlkampfzeiten so genau keiner hinhörte. Jetzt wird die Randbemerkung plötzlich wichtig. Die Opposition sieht schon ihre Chance. Steinmeier zwar, angesichts seiner treibenden Rolle in der ganzen Sache, verbal gehemmt, bescheinigt GM ebenfalls „Unverschämtheit“. Sein künftiger Parteichef Sigmar Gabriel aber ist von historischer Belastung frei. Die Entscheidung von GM, ätzt er, sei der Beweis, dass Merkels Einfluss in den USA mal gerade für eine Rede reiche – „aber nicht zum Erhalt von Arbeitsplätzen“. Und – ob Merkel und zu Guttenberg wirklich jemals Opel retten wollten? Gewiss, ein „böser Verdacht“ sei das, aber wer weiß?

So ist der Fall Opel nach einem Jahr wieder da angekommen, wo er angefangen hat, ökonomisch, wahlkampfpolitisch. Wie es weitergeht? Brüderle hat noch in der Nacht den Opel-Betriebsratschef Klaus Franz angerufen, tags darauf ist der Mann, der die treibende Kraft bei Opel hinter der Magna-Lösung war, zum Gespräch bei Merkel. Die Gewerkschaft, sagt Franz, werde bei der Rückabwicklung nicht helfen, sondern sich auf klassische Arbeitnehmervertretung zurückziehen. Auch die Bundesregierung trotzt. Wenn man die öffentlichen und nicht so öffentlichen Kommentare zusammen nimmt, dann lauten sie: Sollen diese Detroiter Besserwisser doch sehen, wie sie das jetzt hinkriegen! Der angebliche Aufschwung im GM-Autoverkauf – ist das nicht am Ende bloß die Folge der Abwrackprämien in Deutschland und den USA? Jedenfalls muss der deutsche Milliardenkredit pünktlich zum 30. November wieder in der Bundeskasse sein. Die Löhne der Opelaner müssen bezahlt werden. Und überhaupt.

Ob der Trotz das letzte Wort bleibt? Schwer zu sagen. Bald könnte GM wieder die Hand aufhalten. Arbeitsplätze gegen Kredite – es gibt Geschäfte, denen Politik selten widerstehen kann. Auch wenn man sich dafür Sätze einhandelt wie jenen, der weit hinten in der Presseerklärung von GM steht: „Wir sind dankbar für die harte Arbeit, die die deutsche und andere europäische Regierungen geleistet haben, um über die schwierige wirtschaftliche Periode hinweg zu steuern.“ Wie hat Steinmeier gesagt? „Eine Unverschämtheit.“

Mitarbeit: Daniel Goffart (HB Washington), Eike Kellermann (Erfurt), Christoph Schmidt Lunau (Wiesbaden), Thomas Sigmund (HB Berlin)

 Robert Birnbaum

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