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Ortstermin: Warten auf Demokraten

Kevin P. Hoffmann besucht eine Feierstunde der Gasindustrie mit Altkanzler Schröder.

Auf der Leinwand beginnt ein vierminütiger Film zur Einstimmung: 400 Gäste sehen Bilderschnipsel aus fünf Jahrzehnten Ost-West-Geschichte wild gemischt mit Industrie-Romantik: Willy Brandt, dann eine Pipeline in Sibiriens Sonne, Gorbatschow, eine Chemiefabrik, viele Männer beim Händeschütteln, immer mehr, immer schneller. Das Ganze ist unterlegt mit Pauken und Streichern, als zeige man die Schlacht um Mittelerde. Dann sehen sie Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft: „Wir sind zu ihnen gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise...“ Der Rest geht im Jubel unter. Nur im Film.

Montagnachmittag im Berliner Hotel Adlon: Die Gastgeber Gazprom und der weltgrößte Chemiekonzern BASF machen klar, dass ihr vor genau 20 Jahren, im Herbst 1990, besiegelter Entschluss, eine gemeinsame Erdgashandelsgesellschaft zu gründen, sich nahtlos einreiht in Europas schöne Gänsehautgeschichte.

BASF-Chef Jürgen Hambrecht sagt, der Entschluss sei hochriskant gewesen. „In den 20 Jahren hat es aber keinen, nicht einen, Moment gegeben, in dem wir uns nicht auf die Russen verlassen konnten. Gazprom-Chef Alexej Miller sagt, dass sein Unternehmen mit 30 Ländern Gashandel betreibe, aber mit Deutschland sei die Beziehung am besten. Das liege an ähnlichen Charakterzügen, die er bei Russen und Deutschen sehe. Dazu gehöre die Beharrlichkeit bei der Umsetzung von Zielen.

Nachdem diese ersten Freundlichkeiten ausgetauscht sind, betritt Gerhard Schröder die Bühne. Zu Beginn seiner Rede scheint unklar, in welcher Rolle er spricht: Als ehemaliger Bundeskanzler? Konzernberater? Aufsichtsratsmitglied? Er beginnt als Staatsmann, spricht von „goldenen Jahren“ für die deutsch-russischen Beziehungen. Und er sagt: „Ich bin froh darüber, dass Bundeskanzlerin Merkel die Tradition der deutschen Außenpolitik so entschieden fortsetzt.“

Ziel müsse bleiben, die wechselseitige Verflechtung ausbauen. „Deshalb ist es nach meiner Auffassung an der Zeit, Russland völkerrechtlich noch enger an die europäischen Strukturen zu binden“. Das neue Partnerschaftsabkommen, das derzeit verhandelt werde, sei ein wichtiger Schritt, reiche aber nicht aus. „Wir brauchen eine Assoziierung, eine Handelsliberalisierung bis hin zu einer Freihandelszone“ und – bevor man diese Forderung verdauen kann – schreibt Schröder seinen politischen Wunschzettel fort: Man brauche gemeinsame Infrastrukturprojekte, einen regelmäßigen und vertieften Dialog, vereinfachte Visaregeln und eine sicherheitspolitische Kooperation. „Damit erreichen wir eine Modernisierung in Russland, das sich an unser Werte- und Rechtssystem annähern wird“. Es wird der Satz in Schröders Rede bleiben, der den Themen Demokratie und Menschenrechte am nächsten kommt.

Dann löst er sich er sich vom Redemanuskript und kommt indirekt auf die Nabucco-Pipeline zu sprechen, mit deren Bau europäische Unternehmen Erdgas vorbei an Russland nach Europa bringen wollen. „Wenn man ein Pipelineprojekt macht, dann braucht man nicht nur Röhren, sondern auch Gas, um sie zu füllen. Das ist eine Erkenntnis, die ich als Aufsichtsratsvorsitzender gewonnen habe“. Es gibt Lachen im Saal, als Schröder endlich offen seine neue Rolle ausfüllt, die als Lobbyist.

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