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Neuer Wind aus Osten: Auch Serbien strebt in die EU.

© AFP

Osterweiterung: Serbiens Unternehmer hoffen auf den EU-Beitritt

Wie die Ukraine wendet sich auch Serbien von Russland ab. Das Land will in die Europäische Union. An diesem Sonntag wird gewählt

Von Carla Neuhaus

Angefangen hat alles mit dem Erdbeerhaus. Für ein Schulprojekt bastelt Milos Milisavljevic ein Modellhaus, das über Wind, Sonne und Biomasse seine eigene Energie erzeugt. Es hat nur die Größe eines Schuhkartons, aber selbst die kleinen Solarzellen, die Milos daran angebracht hat, funktionieren. Er nennt es spaßeshalber „Strawberry House“, Erdbeerhaus – und gewinnt damit einen Jugendwettbewerb. Das war vor sechs Jahren. Heute ist Milos 25, Chef seiner eigenen Firma Strawberry Energy und gehört zu den Vorzeigeunternehmern Serbiens.

Es ist ein sonniger Morgen Anfang März. Im Innovationspark Belgrad rückt Milos seine neueste Erfindung näher ans Fenster. Dabei schwört er, sie würde auch bei bewölktem Himmel funktionieren: eine mobile Ladestation für Handys, gespeist durch Sonnenenergie. Aus dem weißen Kasten ragen Kabel, darüber thront eine Platte mit Solarpaneele. „Wir wollen zeigen, wie Erneuerbare Energien Teil des Alltags werden können“, sagt Milos. Aufgestellt werden sollen seine Geräte überall dort, wo es nur wenige Steckdosen gibt, aber viele junge Menschen, die ihre Smartphones aufladen wollen. Zum Beispiel bei Festivals oder Sportveranstaltungen. Mehrere größere Ausgaben seines „Strawberry Trees“ hat Milos bereits als stabile Metallkonstruktionen an öffentlichen Plätzen im ganzen Land installiert. Wem in Belgrad der Handyakku versagt, macht sich auf die Suche nach dem nächsten Erdbeerbaum.

Dass Milos Geschichte eine Erfolgsgeschichte ist, hat er auch der Europäischen Union zu verdanken. Die hat in den vergangenen Jahren über den Innovation Fund Serbia 8,4 Millionen Euro in junge, serbische Firmen investiert. Bei Strawberry Energy sind davon 70 000 Euro angekommen. Das reichte für den ersten Prototyp der tragbaren Ladestation. Außerdem hat Milos als erster Teilnehmer eines Nicht-EU-Landes einen Nachhaltigkeitspreis der Europäischen Kommission gewonnen. Seitdem ist die EU für Milos mehr als ein politisches Konstrukt. Er sagt: „Teil der EU zu werden, ist eine große Chance."

Frühestens 2020 könnte Serbien Teil der EU werden

Wie Milos denken allerdings längst nicht alle Serben. 56 Prozent sind für den EU-Beitritt, 24 Prozent lehnen ihn ab. Noch haben sie Zeit, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, zur EU zu gehören. Erst Ende Januar hat sie die Beitrittsverhandlungen mit Serbien aufgenommen, frühestens 2020 könnte das Land Teil der EU werden. Denn noch gibt es viele offene Fragen. Die EU-Kommission verlangt zum Beispiel, dass Serbien und der Kosovo sich weiter annähern. Nur wenn es eine „Normalisierung der Beziehungen“ gibt, will die EU Serbien aufnehmen. Bis heute hat das Land den Kosovo nicht als eigenständigen Staat anerkannt – und das obwohl die Region im Süden Serbiens bereits vor sechs Jahren ihre Unabhängigkeit ausgerufen hat.

Den Unternehmen im Land hilft es allerdings schon, dass Serbien jetzt offiziell ein Beitrittskandidat der EU ist. So setzt Jungunternehmer Milos darauf, dass bereits in der Phase der Verhandlungen Investoren ins Land kommen – vor allem mehr Risikokapitalgeber, die in junge Firmen wie seine investieren.

Schon jetzt sind die Europäer für die Serben die mit Abstand wichtigsten Handelspartner. Fast 60 Prozent der Waren, die Serbien importiert, kommen aus der EU. Gleichzeitig gehen über die Hälfte der serbischen Exporte in europäische Staaten. Milos’ Geschäftspartner sitzen zum Beispiel in Österreich, Italien und der Slowakei. In Deutschland führt er derzeit Gespräche, um seine Ladestationen bald auch hier zu verkaufen.

Was sich Serbien von der EU verspricht

„Serbien orientiert sich ganz klar Richtung Westen“, bestätigt die Belgrader Volkswirtin Ana Trbovic. Dabei heißt Richtung Westen auch weg von Russland. Noch verbindet die beiden Länder zum Beispiel ein Freihandelsabkommen. Firmen, die in Serbien produzieren, können ihre Produkte nach Russland exportieren, ohne hohe Zölle zahlen zu müssen. Bei einem EU-Beitritt würden Vergünstigungen wie diese wegfallen.

Dennoch sind sich die Politiker einig, dass der Weg in die EU richtig ist. An diesem Sonntag wählen die Serben eine neue Regierung. Zum ersten Mal, sagt Trbovic, habe die Frage, „EU – Ja oder Nein“ im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Alle großen Parteien hätten sich mittlerweile für den EU-Beitritt ausgesprochen. Sie hoffen, dass bereits die Aussicht auf eine Aufnahme in den Staatenbund Reformen anstößt.

Denn das Land hat großen Nachholbedarf. Während der Jugoslawienkriege ist in Serbien ein Großteil der Industrieproduktion zum Erliegen gekommen. Von den Unternehmen, die überlebt haben, sind viele in Staatsbesitz. Über 600 Firmen will der Staat in den kommenden Jahren privatisieren. Das sei ambitioniert, sagt Trobvic. „Bei vielen übersteigen die Schulden den Firmenwert.“ Außerdem hätten viele Parlamentarier in diesen Unternehmen hohe Positionen inne.

Warum Serbien in die EU will und deutsche Mittelständler dort investieren

Die Volkswirtin spricht offen über ihr Land, das noch vieles ändern müsse, bevor es eine Chance habe, in die EU aufgenommen zu werden. Da ist zum Beispiel die Korruption, die nach Angaben von Transparency International in Serbien in etwa so hoch ist wie in Südafrika oder Brasilien. Da ist die geringe Wettbewerbsfähigkeit, bei der das World Economic Forum das Land auf eine Stufe stellt mit Ägypten und Kambodscha. Und da ist das wenig flexible Arbeitsrecht, das es Firmen fast unmöglich macht, Mitarbeiter zu entlassen. „Es ist immer die Rede von der bösen Wirtschaft und den armen Angestellten“, sagt Ana Trbovic. Firmen könnten sich von ihren Mitarbeitern nur gegen hohe Abfindungen trennen – gingen sie vor Gericht, würde es noch teurer. „In der Regel gewinnen die Angestellten“, sagt sie. Deshalb hielten sich die Firmen mit Neueinstellungen zurück. Das hat Folgen: Die Arbeitslosigkeit liegt in Serbien bei 25 Prozent, unter den Jugendlichen ist sogar jeder Zweite ohne Job.

Warum Falke in Serbien Strümpfe produziert

Die Politik wirbt deshalb um ausländische Firmen, in der Hoffnung, dass sie im Land Arbeitsplätze schaffen – mit ersten Erfolgen. Nach dem Autobauer Fiat und dem Arzneimittelhersteller Stada hat auch der deutsche Strumpfhersteller Falke ein Werk in Serbien eröffnet. Acht Millionen Socken und Strümpfe stellt die Firma aus dem Sauerland jährlich in Leskovac her, 50 Kilometer südlich der Grenze zum Kosovo. Sie seien auf der  Suche nach einem geeigneten Standort für ein neues Werk durch ganz Europa gereist, berichtet Uwe Bergheim, der bei Falke in der Geschäftsführung sitzt. „Für Serbien haben wir uns entschieden, weil es nicht weit weg ist und wir unsere Waren per Lkw nach Deutschland transportieren können“, sagt er. Außerdem habe die Textilindustrie im Süden des Landes vor dem Krieg eine große Rolle gespielt. „Deshalb gibt es dort noch immer viel Know-how“, sagt Bergheim. Zusätzlich hat Falke gut hundert Mitarbeiter aus Serbien mehrere Monate lang im Sauerland trainiert. Dass Serbien in die EU strebt, findet Bergheim gut. „Wir hoffen, dass sich dadurch hier westliche Standards etablieren.“

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