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Wirtschaft: Pack die Badehose ein

Hightech-Schwimmanzüge erobern den Markt – doch Puristen halten sie für schädlich und unfair

Von Reed Albergotti Die schwimmvernarrte Mary Louise Kiernan aus New York wunderte sich bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney darüber, wie viel Haut die Schwimmer zeigten: Praktisch gar keine. Die Hightech Schwimmanzüge, die in Sydney Aufsehen erregten, bedecken Schultern, Arme, Beine und manchmal den ganzen Körper mit einem synthetischen Material, das im Wasser besser gleiten soll als die Haut. Die Hersteller der Anzüge sagen, sie machen die Schwimmer schneller.

Sie hatten gehofft, dass der Anzug die Fans beeindrucken würden, aber sie hätten nie gedacht, dass Mütter wie Frau Kiernan sofort nach Hause eilen und ihre zehn- oder zwölfjährigen Töchter auf eine Warteliste für einen Anzug setzen würden, der 200 US-Dollar (etwa 163 Euro) kostet. Aber sie und Tausende andere taten dies.

Jetzt plant der Hersteller Speedo ein noch schnittigeres Modell, den Fastskin FSII. Speedo hat diesen Anzug mit Schwimmgrößen wie Inge de Bruijn aus Holland und Massimiliano Rosolino aus Italien in Qualifikationsrennen für die Olympischen Spielen getestet. In Athen soll der Anzug den Durchbruch schaffen. Der FSII, der etwa mit Beginn der Olympischen Sommerspiele in die Läden kommen und zwischen 200 und 400 US-Dollar kosten soll, zeigt, wie weit es die Sportartikelindustrie im Schwimmsport in nur vier Jahren gebracht hat. Ganzkörper-Schwimmanzüge sieht man jetzt bei allen möglichen Schwimm-Veranstaltungen – und das in jeder Altersgruppe.

In den letzten Jahren verkaufte Speedo jährliche 15 bis 20 Prozent mehr der hautengen Anzüge. Konkrete Verkaufszahlen will das Unternehmen allerdings nicht nennen. Speedos Ganzkörper-Schwimmanzug, der aus Lycra, Polyester und Silikon hergestellt wird, kostet das dreifache eines gewöhnlichen Badeanzuges.

Ein anderer Hersteller, TYR Sport mit Sitz in Kalifornien war sich nicht sicher, ob es für normale Kunden einen Markt gebe. „Wir dachten, die Anzüge wären okay für Leistungssportler“, sagt Steve Furniss, Vizepräsident und Gründer von TYR, das einen Hightech-Schwimmanzug namens Aqua Shift herstellt. TYR war völlig überrascht, dass auch Anzüge für kleine Kinder nachgefragt wurden.

Einige Trainer und Puristen lehnen die neuen Anzüge ab. Für sie lenken die Anzüge vom eigentlichen Sport ab. Außerdem bedeuten die Anzüge eine weitere, erhebliche Ausgabe für Eltern von Kindern, die an Schwimmturnieren teilnehmen. Speedo meint, die Anzüge seien ihr Geld wert. „Wir denken, dass der Preis angesichts der hohen Entwicklungskosten und des technischen Vorteils des Produkts fair ist“, sagt Craig Brommers, der bei Speedo für die Vermarktung zuständig ist. „Wettkampfschwimmern macht es Spaß, zu sehen, wie schnell sie sein können.“

Das lässt Cecil Colwin, ein Veteran unter den Schwimmtrainern, erschaudern. „Die Faszination des Schwimmens liegt in dem Kontakt mit dem Wasser“, sagt der Autor zahlreicher Bücher über Schwimmtechniken. „Mit diesen Anzügen ist es ein künstlicher Kontakt. Es ist nicht die natürliche Art zu schwimmen.“ Colwin befürchtet, dass die neuen Anzüge, weil sie sich auf die Schwimmfähigkeit und das Fühlen des Wassers der Schwimmer auswirken könnten, Fortschritte bei den Schwimmtechniken verhindern.

John Leonard, Vorsitzender des Verbandes der amerikanischen Schwimmtrainer, geht noch einen Schritt weiter: Er hält Anzüge wie den Fastskin für „eindeutig illegal“: „Jeder dieser Anzüge drückt Luft gegen den Körper und unterstützt damit die Schwimmfähigkeit.“ Er weist daraufhin, dass nach den Regeln des Internationalen Schwimmverbandes (Fina) alle Hilfsmittel verboten sind, die Schnelligkeit oder Schwimmfähigkeit unterstützen. Die Fina, die von den Herstellern der Schwimmanzüge Sponsorengelder bezieht, entschied kurz vor den Olympischen Sommerspielen in Sydney 2000, dass die Schwimmanzüge als Kleidung einzustufen und daher keine unerlaubten Hilfsmittel sind.

Einige Kritiker haben sich mit den neuen Anzügen abgefunden und den Wandel in einem Sport akzeptiert, in dem früher die entscheidende Ausrüstung zur Verbesserung der Chancen ein Rasierapparat war. Aber die Gewohnheit, Körperhaare vor einem Wettkampf zu entfernen, soll allenfalls einen minimalen Effekt haben – von den Hightech-Anzügen denken manche das gleiche.

„Der Streit ist lächerlich“, sagt Keith Schertle, Schwimmlehrer an der Loyola Blakefield School in Towson, Maryland. „Aber ich muss ehrlich sein“, sagt er. „Ich hätte mit zwölf wahrscheinlich auch einen gehabt, wenn es sie damals gegeben hätte.“ Letztes Jahr trug die Hälfte des Teams, das Schertle trainiert, bei großen Wettkämpfen die neuen Anzüge; in diesem Jahr sind es 90 Prozent.

Texte übersetzt und gekürzt von Christian Frobenius (Terror), Matthias Petermann (US-Jobs), Tina Specht (China), Svenja Weidenfeld (Speedo) und Karen Wientgen (EU-Parlament).

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