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PAPANDREOU: Geschichte schreiben

Über seinem Schreibtisch hängt ein Gemälde. Es ist groß und blau.

Über seinem Schreibtisch hängt ein

Gemälde. Es ist groß und blau. So blau wie das Mittelmeer. Nur in der Mitte befindet sich ein kleiner bräunlicher, etwas rätselhafter Strich. Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou fordert seine „Handelsblatt“-Besucher zum Raten auf. Er sehe in dem Strich eine Insel, sagt er, das Sinnbild der

Rettung. Aber könnte das braune Etwas nicht auch nahendes Unheil darstellen? Papandreou legt den Kopf schräg. Wir wissen es nicht, sagt er sanft. Das Schöne an dem Bild sei, das man sich darüber unterhalten könne.

Papandreou ist ein leiser Mensch. Selbst wenn er lacht, lacht er leise. Er hat wohl zu viel erlebt, um laut sein zu können. Mit 14 Jahren war seine

Kindheit abrupt beendet. Am frühen Morgen des 21. April 1967, dem Tag des Obristenputsches, kamen Soldaten zum Haus der Papandreous. Giorgos

öffnete. Ein Offizier zog seine Pistole und setzte sie dem Jungen auf die Stirn: „Wo steckt Dein Vater?“ Andreas

Papandreou war damals ein prominenter Abgeordneter der linken Opposition. Er befand sich oben in der Wohnung. Trotz Todesangst schützte der Sohn den Vater. Er wisse nicht, wo er stecke, belog er den Putschisten. Da verließ der Vater, der den Dialog verfolgt hatte,

unverzüglich sein Versteck, um nun seinerseits den Sohn zu beschützen.

Die Familie konnte schließlich fliehen. Ihnen gelang die Rückkehr nach

Amerika, wo der Vater seit den 40er Jahren als Professor gelehrt hatte. Auch für Giorgos war das amerikanische Exil eine Rückkehr: Er war 1952 in St. Paul im Bundesstaat Minnesota zur Welt gekommen und in den USA aufgewachsen. Sein Englisch, die Sprache seiner amerikanischen Mutter, ist seit dieser Zeit exzellent.

Seine vornehme Höflichkeit verrät die

Erziehung an US-Eliteschulen. Sein

Griechisch hat gelitten. Er hadert manchmal mit dem Vokabular und der Syntax. Seine politischen Gegner verspotten ihn deshalb gelegentlich. Er antwortet darauf: Ich bin stolz, ein

Grieche der Diaspora zu sein – ein Schicksal, das meiner Familie aufgezwungen wurde, weil wir in Griechenland politisch verfolgt wurden.

Papandreou zieht ein schwarzes Notizbuch aus der Innentasche seines Sakkos. Er trage es immer bei sich. Er schreibt sein eigenes Geschichtsbuch, jeden Tag eine neue Seite. Ob es am Ende ein Buch der Hoffnung oder des Unheils sein wird, kann heute niemand wissen. HB

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