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Wirtschaft: „Patienten müssen höhere Risiken in Kauf nehmen“

Walter Köbele, Chef des Pharmakonzerns Pfizer Deutschland, über Cholesterinsenker, Pharmastudien und den Krach um Festbeträge

Herr Köbele, am heutigen Montag trifft sich Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Spitzenvertretern der Pharmabranche. Sie sind nicht eingeladen. Warum nicht?

Es ist Sache des Bundeskanzlers, wen er zu einem Gespräch einlädt. Zumal dieses Treffen offenbar schon lange mit einem eng beschränkten Teilnehmerkreis geplant war. Es soll dabei um Innovationen in unserer Branche gehen. Ich finde es gut, dass der Bundeskanzler sich dieses Themas annimmt.

Dabei hätten Sie Grund, mit Spitzenpolitikern zu reden: Pfizer Deutschland wehrt sich dagegen, dass eines seiner Medikamente - der Cholesterinsenker Sortis - mit ähnlichen Substanzen in einer Festbetragsgruppe zusammengefasst und damit um mehr als ein Drittel billiger wird. Warum?

Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, demzufolge ab dem 1. Januar 2005 auch patentgeschützte Präparate unter die Festbetragsregelung fallen können, enthält eine wichtige Innovationsschutzklausel. Danach sollten Präparate, für die eine therapeutische Verbesserung nachgewiesen ist, also bessere Wirkung oder weniger Nebenwirkungen, von der Regelung ausgenommen werden. Sortis erfüllt diese Voraussetzungen und darf deshalb nicht unter Festbetrag kommen. Unsere Substanz ist der wirksamste Cholesterinsenker auf dem Markt.

Auch andere Firmen sind mit den Festbeträgen nicht glücklich. Erwarten Sie vom Treffen mit dem Kanzler eine Veränderung dieser umstrittenen Regelung?

Ich glaube nicht, dass der Kanzler in unserer Sache ein Machtwort sprechen wird.

Heißt das, dass Sie die Festbetragsregelung prinzipiell akzeptieren?

Nein. Langfristig ist die Regelung schlecht, weil sie gegen Innovationen gerichtet ist und deshalb dem Wirtschaftsstandort Deutschland und der Versorgung der Patienten schadet. Aber wir werden wohl erst in einigen Jahren eine Änderung bekommen. So lange müssen wir damit leben. Umso mehr müssen wir darauf bestehen, dass zumindest die im Gesetz verankerte Innovationsschutzklausel korrekt zur Anwendung kommt.

Viele Experten sagen, dass der therapeutische Fortschritt bei Sortis gar nicht belegbar sei.

Wir haben mehrere Studien, die deutlich zeigen, dass zum Beispiel Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom – das sind in Deutschland 680000 Menschen – von dem Medikament einen Nutzen hätten. Ebenso profitieren Diabetiker mit zusätzlichen Risikofaktoren, Patienten mit familiär hohen Cholesterinwerten und viele andere von der Therapie. Insgesamt gehen wir von zwei Millionen Menschen in Deutschland aus, die auf Sortis angewiesen sind, weil sie mit den Alternativen nicht die therapeutisch erforderlichen Cholesterinwerte erreichen würden.

Ihre Studien sind umstritten. So hat die Untersuchung, die Sie anführen, nicht die Wirkung von Sortis für alle 680 000 Betroffenen untersucht, sondern nur für eine sehr kleine Gruppe. Die Einschränkungen für die Teilnehmer der Studie waren nach Expertenmeinung außergewöhnlich eng. Die Patienten durften zum Beispiel nicht mit anderen Medikamenten behandelt werden und auch nicht älter als 65 sein.

Jede Studie, auch die für andere Blutfettsenker, hat Ausschlusskriterien für die Teilnehmer. Uns das vorzuwerfen, ist unfair. Wir haben eine dichte Datenlage aus vielen Studien, die die Überlegenheit von Sortis beweisen. Fragen Sie doch einmal die Ärzte, was sie jetzt machen sollen bei den Patienten, die auf Sortis angewiesen sind, um schnell und wirksam ihre Cholesterinwerte zu senken.

Auch Mediziner, die Ihnen wohlgesonnen sind, schätzen den Anteil derjenigen, für die Sortis tatsächlich alternativlos ist, auf etwa zehn Prozent der 1,5 Millionen Patienten, die es im vergangenen Jahr verschrieben bekamen. Andere sprechen von gerade mal einem Prozent.

Es kann durchaus sein, dass unter den Patienten, die jetzt Sortis bekommen, auch solche sind, die mit einem anderen Cholesterinsenker genau so gut eingestellt werden können. Auf der anderen Seite gibt es heute viele Patienten, die Sortis nicht bekommen, obwohl sie davon eindeutig profitieren könnten. Es wird sich bald zeigen, dass die jetzt von Sortis auf einen anderen Cholesterinsenker umgestellten Patienten – die meisten davon aufgrund zu niedriger Dosierung – langfristig ein höheres Herzinfarkt- beziehungsweise Schlaganfallrisiko in Kauf nehmen müssen.

Wenn Ihr Medikament tatsächlich so überlegen ist, wie kann es dann sein, dass ausgerechnet Sortis im Vergleich zu anderen Blutfettsenkern den eingeschränktesten Zulassungsbereich hat und zum Beispiel nicht zur Vorbeugung eines Herzinfarktes zugelassen ist ?

Das liegt daran, dass andere Cholesterinsenker um Jahre früher auf dem Markt waren und deshalb einen Zeitvorsprung bei der Durchführung von Langzeitstudien hatten. Deren Ergebnisse bilden die Basis für die Indikationserweiterungen. Auch wir streben für Sortis diese erweiterte Zulassung im Laufe des Jahres an. Das ist ein übliches Verfahren vor der europäischen Arzneimittelbehörde.

Immer wieder wird über die Aussagekraft von Arzneimittelstudien gestritten. In Deutschland wird der übergroße Teil dieser Tests von der Industrie finanziert. In den USA dagegen gibt es staatliche Forschungseinrichtungen, die unabhängige Studien fördern.

Generell haben die USA in diesem Bereich die viel bessere Datenlage. Gerade die Versorgungsforschung ist in Deutschland ein absolutes Manko. Wir können zum Beispiel nichts sagen über Patientenkarrieren, also darüber, wie sich der Gesundheitszustand von Kranken über größere Zeiträume entwickelt. Nur so könnte man verfolgen, was man heute in der Therapie falsch macht. Ein Institut, das in Deutschland diese Forschung betriebe, wäre ein absoluter Fortschritt. Diese Einrichtung müsste allerdings völlig unabhängig sein und sich wissenschaftlich an hohen internationalen Standards messen lassen. Das jetzt gegründete Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das aus unserer Sicht den Zugang zu Innovationen eher limitieren wird, wäre dafür ungeeignet.

Verlieren Sie durch die Festbetragsregel Umsatz bei Sortis, das 2004 in Deutschland über 400 Millionen Euro umsetzte?

Natürlich erwarten wir einen Umsatzrückgang. Viele Patienten werden aber weiterhin mit Sortis versorgt. 20 Prozent der Patienten sind privat versichert, erhalten also weiter die Erstattung. Und unsere Umfragen zeigen, dass zwischen 20 und 40 Prozent der gesetzlich Versicherten bereit wären, die Differenz von 40 bis 60 Euro über dem Festpreis pro 100er Packung Sortis privat zu zahlen.

Wie würde es sich auf den Umsatz mit Sortis auswirken, wenn Sie sich der Festbetragsregelung beugten?

Dann wären die 38 Prozent Differenz zwischen dem jetzigen Preis für Sortis und dem Festpreis in der Gruppe weg.

Das wären rund 130 Millionen Euro weniger für Sie.

Mit einer Ausweitung der verordneten Dosen könnte man dies eventuell zum Teil wieder auffangen. Aber im Jahr 2006 ginge der Preis noch einmal um die gleiche Größenordnung zurück. Wir hätten dann den mit Abstand niedrigsten Preis in Europa.

Sie haben ein „Partnerprogramm“ angekündigt, nach dem Pfizer allen gesetzlich versicherten Sortis-Patienten, die von Zuzahlungen befreit sind, auch den Differenzbetrag zwischen Sortispreis und Festbetrag erstatten will. Was kostet das?

Wir rechnen mit 150000 bis 200000 Patienten, denen wir durchschnittlich 100 Euro pro Jahr erstatten. Wie viel es insgesamt kosten wird, hängt davon ab, wie viele Patienten teilnehmen.

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden die Daten, die Sie von den Programmteilnehmern erhalten, für eigene Zwecke missbrauchen.

Wir brauchen bestimmte Daten, um die Erstattung abzuwickeln. Wir garantieren, dass diese Daten, die wir zur Prüfung des Anspruches erheben, nicht für andere Zwecke gebraucht werden.

Chronisch Kranke wie Diabetiker profitieren Ihrer Ansicht nach besonders von Sortis. Wieso haben sie diese Gruppe aus dem Partnerschaftsprogramm ausgeschlossen?

Die Definition eines Chronikers ist mit vielen Interpretationen behaftet, was uns die Abgrenzung schwer machen würde. Außerdem haben wir das Programm aufgelegt, wir finanzieren es und bestimmen dementsprechend auch die Regeln.

Wo könnte die Lösung in ihrem Streit um die Festbetragsgruppen liegen?

Wir führen derzeit intensive Gespräche, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Eine Lösung könnte darin liegen, Patientengruppen zu definieren, für die Sortis ohne Alternative ist und dass dafür dann die Krankenkassen das Medikament wie bisher erstatten. Jetzt liegt es an den Kassen und dem Gemeinsamen Bundesausschuss.

Das Gespräch führten Ingo Bach und Harald Schumann.

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