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Wirtschaft: Pekings Mandarine müssen die Ärmel aufkrempeln

Millionen von Arbeitslosen, wuchernde Korruption: Chinas neue Führung muss das Wirtschaftssystem reformieren

Peking. Unauffällig und loyal – so hat sich Chinas neue Führungsriege durch sämtliche Parteihierarchien bis an die Spitze manövriert. Sie deshalb für blasse Nobodys zu halten, wäre aber ein Trugschluss. Der designierte Präsident Hu Jintao und Wen Jiabao – auserwählter Nachfolger Zhu Rongjis als Premier – werden ihr ganzes politisches Geschick aufbieten müssen, um die künftigen wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern.

Auf den ersten Blick steht China glänzend da: Die Volksrepublik ist globaler Wachstumsstar. Acht Prozent verheißt die Propaganda kurz vor dem Parteikongress für dieses Jahr. Sie finden ihren sichtbaren Ausdruck in den Boomtowns der Küstenregionen, wo Finanz- und Handelszentren buchstäblich in den Himmel schießen. Als Magnet für Auslandskapital hat China sogar die USA abgehängt: Die Devisenreserven erreichen bald mehr als 300 Milliarden Dollar. Solide Polster für den wirtschaftlichen Umbau, sollte man meinen. Aber Chinas unbewältigte Probleme stellen viele der in mehr als zwanzig Jahren erzielten Reformerfolge in den Schatten.

Ein Blick hinter die Kulissen, in die entlegeneren Provinzen verrät, dass die glitzernden Fassaden Pekings, Kantons oder Schanghais nicht die Realität widerspiegeln. Mühsam von der Regierung beherrschte Arbeiterunruhen in Heilongjiang und Liaoning sind bedrohlicher Ausdruck jenes ungeheuren sozialen Drucks, der auf China lastet. Von 730 Millionen Chinesen im arbeitsfähigen Alter gelten 150 Millionen als arbeitslos. Ein gigantisches Heer Arbeitssuchender zieht durch das Land. Korruption wuchert wie nie. Arbeitslosen- oder Pensionsversicherungen greifen nur für eine Minderheit. Vizepremier Li Lanqing warnt, das schwache Gesundheitssystem bedrohe die Stabilität auf dem Land. Und dort leben zwei Drittel aller Chinesen.

Jobs, Jobs und noch mal Jobs zu schaffen wird eine der wichtigsten Aufgaben für Hu und Co. Sie wissen das – und werden ausländische Investoren und chinesische Privatunternehmer gleichermaßen hofieren.

Damit aber schafft sich die Führung über kurz oder lang eine hausgemachte Legitimationskrise: Chinas politische und gesellschaftliche Struktur passen nicht mehr zu einer freien Marktwirtschaft. Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren jedoch auch in China nur dann einigermaßen reibungslos, wenn das politische Modell stimmt. Daher muss sich die Partei ändern, ob sie will oder nicht. Eine zaghafte Öffnung für Unternehmer reicht dafür bei weitem nicht aus.

Chinas Jobkrise setzt eine Kettenreaktion in Gang. Weil nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden sind, auch nicht durch den Zustrom ausländischer Investitionen, pumpt die Regierung Milliarden in unrentable Betriebe. Die wiederum überschütten den Markt mit Waren, die keiner haben will.

Waren, die keiner haben will

Die Folge: Der Druck auf die Preise wächst ständig, China steckt in einer Deflationsfalle. Aus Furcht vor weiteren Aufständen werden marode Staatsbetriebe jedoch nicht mehr stillgelegt, sondern mit Krediten der vier großen Staatsbanken mühsam über Wasser gehalten. Und bei denen häufen sich die faulen Kredite. Sie machen schon heute bis zu 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, die Mehrzahl gilt als uneinbringlich. Alle Versuche, die Banken durch die Weitergabe der faulen Kredite an so genannte Asset Management Gesellschaften zu bereinigen, schlagen fehl, solange mit staatlicher Billigung immer neue Risiken entstehen. Erst wenn sich China zu einer modernen Kreditkultur durchringt, kann das System saniert werden.

Inzwischen belastet die angespannte Lage im „instabilsten Bankensystem Ostasiens“ (Deka-Bank) auch Chinas Haushalt. Die fiskalische Lage ist zwar noch nicht bedrohlich, hat sich jedoch in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Pekings Strategie, Wirtschaftswachstum durch staatliche Defizitfinanzierung zu sichern, bietet keine stabile Grundlage mehr für Wachstum und Reformen. China droht den Weg Japans einzuschlagen, wenn nicht hart und beizeiten gegengesteuert wird. Noch stehen die Ressourcen dafür bereit, sie müssen nur sinnvoll und mit dem entsprechenden politischen Willen eingesetzt werden.

Diese Aufgabe ist umso wichtiger, als China nur noch eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, um sich den Regeln der Welthandelsorganisation WTO zu unterwerfen. Die Übergangsfrist bis zu einer kompletten Öffnung der bisher gut geschützten Märkte muss die nächste chinesische Führungsriege nutzen, um die ausstehenden Strukturreformen beherzt einzuleiten. Allzu viel Zeit dürfen sich Hu und Wen dabei nicht nehmen. 13 Jahre nach der Zerschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens braucht das Land vor allem eins: Stabilität.

Christoph Rabe (HB)

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