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Wirtschaft: Per Autobahn zur Energiewende

Nur drei Prozent des EU-Stroms werden über Landesgrenzen transportiert. Siemens wittert ein Geschäft

Kein Glitzern, kein Funkeln. Dieses Stück modernster Energietechnik findet man hinter einem staubigen Kreisverkehr in einem Industriegebiet, 15 Autominuten westlich von Palma de Mallorca. Auf einem fußballfeldgroßen Gelände stehen zwei fensterlose Betonbauten. Darin surren haushohe Transformatoren und Ventilatoren. Einige Kabel sind mit gasbefüllten Rohren ummantelt, damit hier kein Elektron zum anderen Kabel springen kann. Einige Bauteile stehen noch in Plastikfolie gewickelt in der Ecke, auch die Leitzentrale in diesem besonderen Umspannwerk ist verwaist. Der örtliche Stromnetzbetreiber hat entschieden, die Station bequem per Internet vom schöneren Palma aus zu steuern.

Die eigentliche Sensation, um die sich hier alles dreht, könnte man leicht übersehen: Es ist ein armdickes Kabel, das von einem schlichten Metallgestell gehalten wird und im Betonfußboden verschwindet. Es läuft ohne Unterbrechung zunächst drei Kilometer durch den Sand der Ferieninsel, unter einem Strand hindurch und dann weitere 244 Kilometer durch das bis zu 1485 Meter tiefe Meer bis zu einem Umspannwerk nahe Valencia auf dem spanischen Festland. Erstmals sind die Balearen damit an den Kontinent angeschlossen. Zunächst läuft nur der Testbetrieb, bis Ende des Jahres aber soll permanent Strom aus Europa nach Mallorca fließen.

Den meisten der 2,5 Millionen Touristen, die die Ferieninsel jedes Jahr besuchen, dürfte das ziemlich schnuppe sein. Sie werden lediglich zu schätzen wissen, dass es deutlich seltener zu Stromausfällen kommen dürfte, da die Insel nun Teil eines großen Verbundnetzes wird. Andere wird die Nachricht freuen, dass Urlaub auf Mallorca mit diesem Kabel ökologisch korrekter wird. Bisher war der Aufenthalt nämlich eine ziemlich schmutzige Angelegenheit: Auf den Inseln werden fast ausschließlich Kohle, Gas und Öl verbrannt, um den benötigten Strom zu erzeugen. Jetzt kann man diese Kraftwerke zeitweise drosseln – und der Versorger Red Eléctrica de España kann Strom vom Festland rüberschicken, der bereits zu 35 Prozent aus Wind und Sonne gewonnen wird. So sinkt der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids um die Hälfte.

Möglich gemacht hat diese Anbindung Mallorcas der Siemens-Konzern, einer der ganz wenigen Anbieter sogenannter Stromautobahnen, mit denen sich Energie über sehr weite Strecken transportieren lässt, ohne, dass zu viel auf dem Weg verloren geht. Gewöhnliche Erd- oder Seekabel, die Wechselstrom übertragen, taugen nur bis zu einer Länge von etwa 80 Kilometern. Sind sie länger, kommt am Ende noch kaum noch Strom an. Daher setzen Siemens und Wettbewerber wie ABB auf die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Dort wird üblicher Wechselstrom in Gleichstrom gewandelt. Der Bau solcher Übertragungsstationen ist zwar teurer – rund 400 Millionen Euro kostet die Mallorca-Anbindung insgesamt–, lohnt sich aber dort, wo man weite Strecken oder schwieriges Gelände überwinden muss. In China hat Siemens auf diese Weise bereits im Jahr 2009 große Staudämme und Ballungszentren miteinander verbunden. Für San Francisco erhielt eine HGÜ-Leitung und konnte so ein stinkendes Kraftwerk am Standrand abbauen und jetzt saubereren Strom von weiter weg beziehen.

Es ist politischer Wille, vor allem in Europa, dass Offshore-Windparks und solarthermische Kraftwerke in Wüstenregionen nach und nach regionale Kohle- oder Kernkraftwerke ersetzen sollen. Udo Niehage, der bei Siemens das Stromübertragungsgeschäft verantwortet, erklärte nun auf Mallorca, HGÜ sei das am schnellsten wachsende Segment des Industriekonzerns. Denn bisher ist kaum etwas geschehen. Nur rund drei Prozent der in allem EU-Ländern erzeugten Stroms werden derzeit über Staatsgrenzen hinweg transportiert. Zehn Prozent sollen es nach dem Willen der EU-Kommission einmal werden.

In diesem Sinne bindet Siemens nun einige Windparks in der Nordsee ans Festland an und gräbt zum Beispiel derzeit einen Tunnel durch die Pyrenäen. Darin sollen Kabel gehängt werden, die es ermöglichen, dass Spanien und Frankreich endlich mehr Energie austauschen können – zwei Länder die sich mit ihrem unterschiedlichen Stromerzeugungsmix perfekt ergänzen. Wenn in Spanien mal Flaute herrscht, kann das Land Frankreichs Atomstrom importieren. Und wenn Frankreichs Meiler im Sommer oder im Eiswinter wieder Kühlwasser fehlt, kann der örtliche Versorger Windstrom aus Spanien anfordern. „Der Strom muss zum Verbraucher, zunehmend auch über Ländergrenzen hinweg. Wir machen das möglich“, sagt Niehage.

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