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Verführerisch. Ein Computer kann nicht alles, aber die Systeme werden immer besser und intelligenter. Dennoch kommt es auf den Menschen an.

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Strategieberatung vs. künstliche Intelligenz: Permanente Überprüfung der Lösung

Intelligente Computerprogramme ergänzen immer mehr die Arbeit strategischer Unternehmensberater. Wird die künstliche Intelligenz der klassischen Beratung Konkurrenz machen?

Gibt es sie, die Industrialisierung des Beratungsgeschäftes? Mit Hilfe von „Baugruppen“ von Beratungswissen, die man in Computern auslagert, soll man – trotz dieser Standardisierung – schnell und kundenindividuell Strategieempfehlungen kombinieren lassen, wie etwa heute schon komplexe Fertigungsprodukte der sogenannten MassCustomization? Ein wichtiger Wissenschaftler und Berater, Clayton M. Christensen charakterisiert Ende 2013 die Strategieberatung so: Sie sei an einem Scheitelpunkt einer schweren Erschütterung bisheriger Branchenstrukturen durch neue Technologien.

Strategieberatung bestimmt die unternehmerischen Vision, segmentiert das Unternehmen und seine Umwelt, entwickelt, bewertet und implementiert seine Strategie, um den langfristigen ökonomischen Erfolg sicherzustellen. Strategien fokussieren das Unternehmen, dessen Geschäfts- oder Funktionsbereiche, Bedingungen sind dabei Kompatibilität zu Struktur, System, Kultur des Unternehmens und die Ethik. Große Strategieberatungen sind derzeit McKinsey und Boston Consulting Group; aufgrund wachsender Beratungsanfragen an sie und gleichzeitig hartem Wettbewerb bei den Kleineren sind Fusionen bisher spezialisierter Beratungshäuser zu erwarten.

Erfolgsentscheidend bezeichnen Markenberater von Consultingunternehmen wie Frank Höselbarth herausragende Qualität, die Originalität und Souveränität im strategischen Urteil sowie Wirksamkeit der Ergebnisse. Solutionism-Vertreter, wissenschaftlich ausgebildete Experten und dabei Technologie-Idealisten, glauben jedes Problem wissenschaftlich lösen zu können. Demnach wären auch strategische Ratschläge automatisierbar. Und eine Reihe von etablierten Strategieberatungsfirmen machen entsprechende Anstrengungen, ihr Wissen in Analysetools „auszulagern“ und dem Kunden als permanente Strategiehilfe, anstatt als einmalige Projektlösung anzubieten.

Die Ethik einer Entscheidung scheint für Computer nicht nachahmbar

Technikfolgen-Abschätzer befürchten es und begleiten etwa das Semantic Web – die automatisierte Interpretation von Daten – kritisch, das bereits komplexe Regelwerke aus Ökonomie, Organisation, Jura und Informatik zu Marktservices kombinieren kann. Frühe Skeptiker, wie der Kritiker künstlichen Intelligenz (KI), Richard Dreyfuß, antwortete in den 80er Jahren zunächst nein, Intelligenz lasse sich nicht automatisieren, weil der Computer für Probleme der Alltagswelt zu deterministisch, daher begrenzt und untauglich entscheide.

Christiane Floyd schlug 1986 als Intelligenztest für Maschinen deshalb deren Ununterscheidbarkeit für menschliche Kommunikationspartner vor; daran scheiterte KI damals noch. Schon heute aber sprechen wir mit unserem Smartphone in natürlicher Sprache. Bis heute aber gibt es keine unstrittige Definition von Intelligenz, an der sich virtuelle Intelligenz orientieren und messen lassen muss. Bislang gilt die Beratung als People Business, dies könne man zwar technisch durch computerunterstützte Analyse und Kommunikationswerkzeuge unterstützen, der Ratschlag aber lasse sich nicht automatisieren.

Hier ginge es um Vertrauen, Diskretion und Erfahrung für taktische Spielzüge in einem entwickelten industriellen Umfeld mit guten und intelligenten Mitbewerbern. Gerade Diskretion, schnelle und umfangreiche Kombinatorik von Spielerverhalten, die Objektivität des durch menschliche Gewohnheit nicht verzerrten Blickes einer komplexen Computeranalyse könnten aber für die Automatisierung sprechen. Einzig die Ethik einer Entscheidung, die Abwägung von Entscheidungsalternativen auch anhand kulturell erworbener Wertvorstellungen scheint für Computer (noch) nicht nachahmbar.

Menschen müssen die Komplexität noch vordenken

Wenn aber gesellschaftliche Regeln sich ebenfalls durch Erfahrung erlernen lassen, ist auch diese menschliche Fähigkeit angesichts der Fortschritte bei der Verwendung sogenannter „neuronaler Netze“ zukünftig automatisiert vorstellbar. Neuronale Netze lernen als Computerprogramm ständig dazu, beherrschen damit schon heute nach einiger Zeit sehr komplexe, auch außergewöhnlichem Klima gerecht werdende Steuerungen für Windradanlagen. Erstes Fazit: Wissenschaftlich wäre anhand der postulierten Erfolgskriterien empirisch zu überprüfen, ob computergenerierte Strategien immer von überdurchschnittlicher Qualität, originell und im strategischen Urteil unabhängig sind und ihre Ergebnisse, wenn angewendet, wirksam sind.

Methoden und Modelle werden zunehmend digitalisiert, modellbasierte Entscheidungsunterstützung wird erforscht und weiterentwickelt. Computational Finance gibt es zwar schon seit den 50er Jahren, aber ein vielfach größeres und komplexeres Maß an Datenverarbeitung ist heute möglich. Schranken bestehen aktuell darin, dass Menschen diese Komplexität noch vordenken müssen. Shillers Nobelpreis für seine Thesen und Nachweise der Behavioral Finance zur irrationalen Investitionsbewertung durch Selbstüberschätzung oder aufgrund von Herdentrieb macht uns aber die Grenzen einer Modellbildung bspw. des Aktienmarktes nach rein rationalen Kriterien deutlich.

Auch Irrationales muss als denkbar und manchmal marktlogisch richtig mitmodelliert werden. Die auf harten Fakten beruhenden rationalen Handlungen, wie profitabilitätsoptimierende Portfolioentscheidungen über Immobilieninvestitionen erweitern wir durch Entscheidungen zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit. Damit kritisieren die generierten Investitionsvorschläge die intuitiven Strategien der Entscheidungsträger konstruktiv, wie etwa auch im Rahmen meines eigenen Forschungsprojektes.

Der "Data-Scientist" berät nicht mehr die Lösung selbst

Klar scheint, dass in neuronalen Netzen schlummerndes Lernverhalten durch fortschreitende Interaktion und sensorische Informationsverarbeitung, wie es bei der Steuerung komplexer Systeme erfolgreich ist, hier auch Maß einer Automation geben für Beratungsvorschläge für Unternehmen. Als Werkzeug sind sie längst dabei, sich zu etablieren. Einige Experten vermuten, der Berater vereine in sich zukünftig viele Spezialisten, er werde Multispezialist.

Andere glauben nicht, dass ihm dies erfolgreich gelingt. Die Antwort liegt dazwischen, und hängt davon ab, wie ein Computer zukünftige Berater und Kunden beim Entscheiden und Umsetzen von strategischen und operativen Unternehmensmaßnahmen zu unterstützen vermag. Klar ist, die Kenntnis der aktuell verfügbaren Software-Helfer, der darin abgebildeten Methoden und Modelle, deren Potentiale und Grenzen etwa auch statistischer Verfahren muss er schon heute kennen, um mit wissenschaftlichen Verfahren vorhersagende Modelle zu entwickeln, Datenströme zu beobachten und auch unstrukturierten Daten erfolgsrelevante Informationen und Frühwarnsignale zu entnehmen.

Klassifikationen und Prognosen sind als „Bausatz“ statistischer Methoden automatisiert und ermöglichen so in Sekunden individuelle Vorschläge, wie der Kunde schneller reagieren kann als Mitbewerber, vorausschauend handelt, seine Planungen auf detaillierte, objektive Daten gründet und so seine Geschäfts- und Produktionsprozesse die letztlich Effizienteren sind. Strategische, taktische und operative Planung mischen sich hier. Der Data Scientist berät nicht mehr die Lösung selbst allein, er berät den Weg zur permanenten Lösungsüberprüfung und -korrektur: Darin sind sie gefragte Experten, die Branchenkenntnis, IT-Wissen und mathematische Analysefähigkeiten kombinieren.

Prof. Dr. Karin Gräslund lehrt Finance Information Management an der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain (www.hs-rm.de/wbs). Ihr Forschungsprojekt ist die automatisierte Unternehmensbewertung und -planung mit SAP-Systemen.

Karin Gräsl

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