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Auf die Leinwand.

© picture alliance / dpa

Personalvorstand der Telekom, Thomas Sattelberger: „Die Kens und Barbies im Business-Outfit werden nur auf Effizienz getrimmt“

Für echten Wandel braucht man Querdenker. Allzu angepasste Topmanager schaden Unternehmen mit Potenzial für Innovationen, warnt der frühere Personalvorstand der Telekom, Thomas Sattelberger.

Herr Sattelberger, hätte ein Studienabbrecher wie Telekom-Chef René Obermann heute Chancen, bei einem begehrten Arbeitgeber unterzukommen?

Ich bin sogar doppelter Studienabbrecher, in Soziologie und dann im Studium für das Lehramt. Danach habe ich ein duales „Schmalspurstudium“ als Betriebswirt absolviert. Heute aber sortieren viele der Firmen Studienabbrecher automatisch aus. Personaler bewerten Brüche im Lebenslauf oft als problematisch. Wir haben eine außerordentlich stereotype Selektionskultur. Und trotz Fachkräftemangels beginnen erst wenige Arbeitgeber umzudenken.

Was geht Unternehmen verloren, wenn sie unkonventionellen Bewerbern keine Chance geben?

Die Welt aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, Erfahrungen aus Scheitern oder Kindererziehung – all das kann für Unternehmen sehr wertvoll sein. Ich bin betroffen, dass gerade einmal sechs Prozent befragter deutscher Personalchefs Vielfalt für ein Top-Thema ihrer Arbeit halten. Das deutsche Management ist viel zu homogen. In England steht Geisteswissenschaftlern eine Karriere als Banker oder Manager offen. Warum nicht auch in Deutschland? Stattdessen stellt Schmidt weiter Schmidtchen ein.

Warum hilft Vielfalt bessere Unternehmensergebnisse zu erzielen?

Weil ähnlich sozialisierte Manager immer dieselben ausgetrampelten Pfade nehmen. Doch in vielen Branchen von Energie bis Automobil brechen gerade traditionelle Geschäftsmodelle weg. Für echte Innovationen brauchen Unternehmen Querdenker, die sich auf neue, abseitige Wege wagen.

Finden sich die denn überhaupt unter den Bewerbern, wenn bereits Teenager ihre Lebensläufe mit Praktika und Auslandsstationen optimieren?

Das ist ein Teufelskreis. Der Film „Alphabet“ beschreibt diesen Irrsinn: Überehrgeizige Eltern, die alles tun, damit ihre Kinder im richtigen Stadtteil auf private Schulen kommen, und ihnen dann eine elitäre Business-School finanzieren. Dort werden die jungen Leute abgerichtet, genauso wie später in den Beratungshäusern. Sie opfern ihre Einzigartigkeit für Geld und Karriere.

Aber der Aufstieg von Absolventen renommierter Wirtschaftshochschulen belegt doch, dass man dort gut vorbereitet wird.

An den meisten Business-Schools wird wenig Sinnvolles gelehrt. Die gefönten Kens und Barbies im Business-Outfit werden nur auf ökonomische Effizienz getrimmt, nicht zu Innovationen animiert. Die Manager in spe denken einzig in der Kategorie „höher, schneller, weiter“. Business-Schools und Wirtschaftsfakultäten sind deshalb signifikant verantwortlich für missratene Führung im Management.

Unternehmensberatungen sind für viele Absolventen die erste Berufsstation. Welchen Einfluss haben sie auf den Geist, der im Topmanagement weht?

Globale Beratungen sind militärische Drillanstalten. Dort gelten ähnlich rigide Prinzipien wie bei den Marines: Up or out! Das sind Bootcamps. Wer nicht performt, fliegt raus. Da wird nichts kritisch hinterfragt. Der jungen Elite wird widerspruchsloser Gehorsam eingetrichtert.

Harte Kritik. Was passiert, wenn Unternehmen von Managern geführt werden, die so sozialisiert worden sind?

Das verstärkt das ökonomistische Denken, den Glauben, die Welt sei mit Formeln berechenbar und beherrschbar.

Sind seit der Finanzkrise nicht die Zweifel an dieser reinen Lehre gewachsen?

Die Krise war nicht schlimm genug, um das Paradigma zum Einsturz zu bringen. Die Hälfte der Absolventen einer Harvard Business School verweigerte sich dem Eid ethischen Managerhandelns. Das spricht Bände. Bis zur Perestroika in Business-Schools, Beratungen und Unternehmen ist es noch ein weiter Weg.

Deutsche Business-Schools haben sich doch aber reformiert und legen mehr Wert auf Ethik im Lehrplan.

Das ist meist reine Kosmetik. Soziale Verantwortung wird an die „Abteilung für das Gute“ delegiert – in Business-Schools wie Unternehmen. Es reicht nicht, an einen Motor eine „Ethik“-Schraube anzumontieren. Die gesamte Mechanik des Motors muss umgebaut werden.

Was müssten Business-Schools ändern um Manager besser auszubilden?

Statt Silowissen in Marketing, Finance und Logistik sollten Themen wie gesellschaftliche Verantwortung, soziales Handeln und Selbstreflexion den Lehrplan durchziehen.

Funktioniert das anderswo besser?

In den Hotspots dieser Welt wie Silicon Valley, Haifa oder Singapur sind Start-ups verzahnt mit angewandter universitärer Forschung, unternehmerischen Professoren, Alumni-Organisationen und Wagniskapitalgebern. Diese Verschmelzung zu Innovations-Clustern ist in Deutschland nicht zu finden.

Mit Ihrer harschen Kritik an der Auswahl und Ausbildung von Managern stehen Sie bislang ziemlich allein da.

Es gibt viele kritische Ökonomen, übrigens auch im akademischen Bereich, nur sind die noch in der Minderheit. Aber es gärt, auch in den Unternehmen. Bereits 1998 schrieb Ex-VW-Vorstand Daniel Goedevert sein managementkritisches Buch „Wie ein Vogel im Aquarium“. Nun artikulieren sich Systemabtrünnige wie Anonyma mit „Ganz oben. Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft“ oder Ex-Berater Benedikt Herles mit seinem Buch „Die kaputte Elite“. Wenn Dissidenten aufbegehren, ist der Mörtel eines scheinbar fest zementierten Systems zumindest schon gelockert. Der tragische Freitod des Zurich-Vorstands ist eine weitere Mahnung, dass sich etwas ändern muss.

Wie lange braucht es, um fundamentale Änderungen in hierarchischen Strukturen von Konzernen durchzusetzen?

Paradigmenwechsel in der Wirtschaft dauern erfahrungsgemäß Jahrzehnte. Seit dem Jahr 2000, als die Dotcom-Blase platzte, hat das Umdenken begonnen. Inzwischen haben wir vielleicht ein Drittel des Weges hinter uns. Aber ich bin zuversichtlich: Ich glaube fest daran, dass sich Menschen aus ihren selbst gebauten Käfigen befreien können. HB

Das Gespräch führten Matthias Lambrecht und Katrin Terpitz

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