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Bitte schlucken. Die Teilnahme an Arzneitests in Deutschland ist freiwillig.

© Armin Weigel/dpa

Pharmaindustrie: Deutschland belegt bei Arzneistudien weltweit Platz Zwei

Außer in den USA werden in keinem Land der Welt so viele Arzneistudien begonnen wie in Deutschland. Und bei Autoimmunerkrankungen ist die heimische Pharmaindustrie ganz vorne.

Sie heißen Synexus, Emovis oder Parexel und arbeiten im Auftrag von Pharmafirmen. Sie rekrutieren ihre freiwilligen Studienteilnehmer übers Internet oder über Werbetafeln in medizinischen Fakultäten und der S-Bahn. Sie zahlen ihren Probanden für einen Monat im Klinikbett schon mal 6000 Euro. Und sie sind auch selber gut im Geschäft. Bei klinischen Arzneimittelstudien belegt Deutschland weltweit den zweiten Platz. Nur in den USA werden neue Medikamente noch häufiger an freiwilligen Testpersonen erforscht.

Das geht aus einer Auswertung des öffentlichen Studienregisters clinicaltrials.gov durch den Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VfA) hervor. Mit einer Beteiligung an 532 Studien, die im vergangenen Jahr begonnen wurden, rangiert Deutschland demnach vor Großbritannien (499), Kanada (463), Spanien (384) und Frankreich (336). Nur die Vereinigten Staaten liegen mit 2306 Studien uneinholbar an der Spitze.

SPD-Experte: Bei den wirklichen Innovationen sind andere besser

Es sei erfreulich, dass die heimische Pharmaindustrie „nach langer Durststrecke“ wieder den Anschluss gefunden habe, kommentierte der SPD-Experte Karl Lauterbach die Zahlen. Allerdings dienten die hierzulande initiierten Testreihen oft mehr der Vermarktung. Die wesentlichen Studien, bei denen man wirklich innovative Neuerfindungen ausprobiere, würden leider nach wie vor allem in den USA und Großbritannien initiiert, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel. Der Grund dafür sei die bessere Koordination von Eliteuniversitäten, Kliniken und Arzneiherstellern in diesen Ländern.

Laut VfA diente immerhin gut jede fünfte der in Deutschland durchgeführten Studien (112 von 532) der Ersterprobung neuer Medikamente. Dabei wird die Arznei an gesunden Probanden vorgetestet. Bei den übrigen 420 Studien wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit an bereits vorbelasteten Patienten geprüft, die an 189 unterschiedlichen Krankheiten litten.

Die meisten Testreihen laufen in Berlin

Bevor ein neues Mittel auf den Markt darf, hat es mehrere Phasen einer klinischen Testreihe zu durchlaufen – erst an Gesunden, dann an wenigen betroffenen Patienten, dann an vielen. Die meisten dieser Studien wurden in Berlin begonnen. Hier beteiligten sich medizinische Einrichtungen an 201 Studien. In Hamburg waren es 136, in München 127, in Hannover 83, in Frankfurt am Main 81, in Essen 74, in Dresden 73 und in Köln 70. Es folgen Heidelberg (69), Leipzig (69), Freiburg (57) und Tübingen (55).

Mit ihren Studien leisteten die Pharmaunternehmen einen wesentlichen Beitrag zur Förderung medizinischer Innovationen in der Gesundheitsversorgung, sagte VfA-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Die Erprobung neuer Arzneien dürfe nur durch Ärzte erfolgen. Daher sei man auf die Zusammenarbeit mit Kliniken und Arztpraxen angewiesen. Bis Ende Juni werde man die Geldflüsse fürs vergangene Jahr wieder veröffentlichen.

Oft sind bis zu 55 Länder gleichzeitig involviert

Im Regelfall führten die Unternehmen ihre Studien allerdings nicht nur in einem Land durch, teilte der Verband mit. Meist kooperierten sie mit Kliniken und Arztpraxen in vielen Ländern zugleich. Bei den letzten Studien vor der Zulassung (den Phase-III-Studien) könnten es bis zu 55 Länder sein. Von den Industrie-initiierten Studien, an denen sich deutsche Kliniken und Praxen im vergangenen Jahr beteiligten, stammten 40 Prozent der Studien aus der Phase III.

Bei den mit Abstand meisten Patientenstudien in Deutschland ging es um – also etwa Asthma, Multiple Sklerose, Rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa, Schuppenflechte oder Lupus. Bei letzteren zeige Deutschland besondere Stärke, hieß es beim VfA. Mit einem Anteil von 24 Prozent hätten entsprechende Studien hier einen „weit höheren Anteil am Studiengeschehen“ als in anderen studienstarken Ländern. In Kanada betrage dieser 20, in Großbritannien 18, in Spanien 16 und in Frankreich und den USA jeweils nur 13 Prozent.

2016 wurden Studien zu 189 verschiedenen Krankheiten begonnen

31 Erprobungen in Deutschland widmeten sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, in 28 Fällen ging es um Infektionskrankheiten. Insgesamt seien Studien zu 189 verschiedenen Krankheiten durchgeführt worden, berichtete der Verband. Diabetes war mit 14 Studien vertreten, Medikamente gegen Augenkrankheiten wurden in zehn Fällen getestet.

Von den in Deutschland begonnenen Studien wird etwa jede zehnte vorzeitig beendet. Das zeigt ein Blick auf die 1352 Studien, die in den Jahren 2012 und 2013 begonnen wurden. Davon sind 821 regulär abgeschlossen. 122 Studien laufen noch und rekrutieren weiter Patienten. 242 sind noch in Arbeit, ohne neue Probanden zu benötigen.

Veröffentlichung der Ergebnisse ist inzwischen Pflicht

Die Teilnahme ist stets freiwillig, vorgeschrieben sind umfassende Aufklärung und schriftliches Einverständnis, das die Teilnehmer jederzeit widerrufen können. Um gefährliche Wirkstoffe vorher auszusortieren, beginnen die Erprobungen an Gesunden in der Regel erst nach Tests an Zellkulturen oder Tieren. Zudem ist vorher die Zustimmung der zuständigen nationalen Behörden und von darauf spezialisierten Ethik- Kommissionen einzuholen.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse von Arzneistudien ist seit einigen Jahren verpflichtend. Für die Zukunft sieht die EU-Gesetzgebung auch zusätzliche laiengerecht zusammengefasste Ergebnisse vor. Manche Unternehmen machen auf Anfrage auch Rohdaten für wissenschaftliche Zweitauswertungen zugänglich.

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