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Wirtschaft: Pharmaindustrie will nichts vom Sparkurs wissen

Hersteller wehren sich gegen die Streichung von Medikamenten aus dem Leistungskatalog der Kassen/Kritik am Qualitätsinstitut

Berlin - Wenige Tage vor wichtigen Weichenstellungen für die nächste Gesundheitsreform steht der großen Koalition ein Konflikt mit der Pharmaindustrie über die Folgen des letzten Reformgesetzes ins Haus. Die Arzneimittelhersteller, allen voran Sanofi-Aventis, laufen Sturm gegen die Absicht des gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen, ein innovatives Medikament aus dem Leistungskatalog der Kassen zu streichen. Dabei geht es um Insulinanaloga zur Behandlung der Zuckerkrankheit. Die Kritik der Industrie zielt auch auf das im Zuge der rot-grünen Gesundheitsreform gegründete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin (IQWIG).

Insulinanaloga sind insulinähnliche Hormone, die wie Insulin den Blutzuckerspiegel senken. Es gibt kurz- und langfristig wirksame Analoga. Sie sind etwa 30 Prozent teurer als klassisches Insulin. Nach Ansicht der drei Herstellerfirmen Eli Lilly, Sanofi-Aventis und Novo Nordisk senken die kurzwirksamen Analoga den Zuckerspiegel schneller und weniger lang als Insulin. Dadurch werde die Gefahr der Unterzuckerung vermieden, die bei Insulin auftreten kann. Das IQWIG erkennt diese Studien nicht an. Es sieht keinen Zusatznutzen.

Der Bundesausschuss will die Insulinanaloga aus dem Leistungskatalog streichen, um die explodierenden Arzneimittelausgaben der Kassen zu begrenzen. Nur wer sie heute erhält, soll sie weiter anwenden können. Durch die Streichung könnten die Kassen bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr sparen. Doch die Industrie wehrt sich: „Wir werden eine Klärung vor Gericht anstreben, sollte diese fachlich nicht zu rechtfertigende Entscheidung wider Erwarten auch nach dem laufenden Anhörungsverfahren aufrechterhalten werden“, sagte der Deutschland- Chef von Sanofi-Aventis, Heinz-Werner Meier, dem Handelsblatt.

Die deutschen Arzneimittelausgaben sind 2005 um 16 Prozent gestiegen – nicht zuletzt deshalb, weil viele neue Medikamente auf den Markt kamen. Unter Experten ist aber unstrittig, dass viele dieser Medikamente nur „Scheininnovationen“ sind, also keinen großen therapeutischen Nutzen im Vergleich zu preiswerteren Alternativen haben. Die rot-grüne Bundesregierung hatte deshalb das Qualitätsinstitut gegründet, das erstmals in Deutschland neue Medikamente und Therapien auf ihren medizinischen Nutzen überprüfen soll.

Die Erwartungen der Politik an das Institut und seinen Leiter, Peter Sawicki, waren hoch. Denn bislang müssen die Kassen jedes zugelassene innovative Medikament bezahlen, wenn es ein Arzt verordnet. Die Beurteilungen des Instituts sollen den gemeinsamen Bundesausschuss, in dem die Krankenkassen, die Ärzte und Patientengruppen vertreten sind, in die Lage versetzen, Medikamente aus dem Leistungskatalog zu streichen, deren Nutzen in keinem Verhältnis zu den Kosten steht. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wollte dem IQWIG sogar die Kompetenz geben, Preis und Nutzen ins Verhältnis zu setzen. Dies scheiterte aber am Widerstand der Industrie. Stattdessen darf es nun nur den medizinischen Nutzen eines Medikaments bewerten, wenn der Bundesausschuss es damit beauftragt.

Genau dies hatte das Gremium im Fall der Insulinanaloga getan. Nach mehrmonatiger Prüfung kam das IQWIG zu dem Ergebnis, dass der medizinische Nutzen nicht größer ist als der des klassischen Insulins. Daher entschied der Bundesausschuss Mitte März, er könne keinen Nutzen erkennen, der es rechtfertige, die um 30 Prozent teureren Insulinanaloga weiter zu Lasten der Kassen einzusetzen.

Die Industrie fürchtet, dass die Entscheidung nur der Anfang einer Reihe von Prüfungen sein wird, an deren Ende viele innovative Medikamente nicht mehr auf Krankenschein zu haben sein werden. „Wir befürchten, dass in Zukunft alle innovativen neuen Medikamente in ähnlicher Weise nach von der Fachwelt nicht nachvollziehbaren Kriterien beurteilt werden könnten, nur weil sie teurer sind“, sagte Sanofi-Aventis-Deutschlandchef Meier. Er glaubt, dass Institutsleiter Sawicki gezielt Studien ignoriert hat, die den Nutzen der Insulinanaloga belegen. Sein negatives Urteil habe der IQWIG-Chef auf Studien von Kollegen bei seinem Ex-Arbeitgeber, der Uniklinik Düsseldorf, gestützt, die schon wegen der geringen Teilnehmerzahlen von sechs bis 50 Nicht-Diabetikern „völlig irrelevant“ seien.

Auch Experten wie der Biometriker Heinz Letzel von der Uni München und der Münchner Diabetologe Rolf Renner werfen dem Institut „methodische Mängel“ vor. Sawicki wehrt sich: Ihn wunderten die Versuche, „die Arbeit des IQWIG zu diskreditieren“, nicht. Ähnliche Erfahrungen hätten auf internationaler Ebene alle Institute gemacht, die sich mit der Bewertung von Medikamenten befassen.

Beim Bundesausschuss dürfte die Industrie mit ihrer Kritik auf Granit beißen. Sein Vorsitzender Rainer Hess sieht nicht ein, dass die Kassen die höheren Preise zahlen sollen. Am Ende dürfte der Streit vor den Sozialgerichten landen. Vom Ausgang dieses Rechtsstreits hängt auch die Zukunft des IQWIG ab – und damit die Chancen der Politik, im Gesundheitswesen Kosten zu sparen. Schon nach der Kabinettssitzung am Mittwoch wollen die Fraktionsspitzen von Union und SPD über weitere Reformschritte beraten. HB

Peter Thelen

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