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Wirtschaft: Pharmakonzerne verdauen die Reform

Medikamentenhersteller spüren den Spardruck im deutschen Gesundheitssystem und sparen jetzt selbst

Frankfurt am Main - Die Arzneimittelhersteller bekommen die Einsparungen der öffentlichen Gesundheitssysteme immer stärker zu spüren. Kaum eine Berichtssaison, in der die Firmen nicht auf die wachsenden Belastungen verweisen. Der Bayer-Konzern beispielsweise erwartet in diesem Jahr weltweit Belastungen von 250 bis 300 Millionen Euro Umsatz und begründet das laufende Kostensenkungsprogramm zum Teil damit. Novartis in der Schweiz rechnet in diesem Jahr mit mehr als 300 Millionen Dollar Preisdruck, wobei der Konzern bei dieser Zahl damit kalkuliert, einen Teil des Drucks mit höherpreisigen neuen Medikamenten ausgleichen zu können.

In Deutschland werden sich die Zwangsrabatte für die Pharmaindustrie in diesem Jahr auf mehr als zwei Milliarden Euro summieren, 1,2 Milliarden mehr als 2010 – bei einem Gesamtumsatz der Branche auf Basis der Herstellerabgabepreise von rund 18 Milliarden Euro. Das zeigt eine aktuelle Auswertung des Marktforschungsinstituts IMS Health für das „Handelsblatt“. Grund ist die seit August 2010 geltende Erhöhung des Zwangsrabatts für verschreibungspflichtige Medikamente, mit dem die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen gedämpft werden sollen.

Die Rabatte treffen allerdings eine Branche, die traditionell weitgehend immun vor Konjunktureinbrüchen ist und nach wie vor sehr gut verdient. Die durchschnittliche Gewinnmarge der weltweit 20 größten Anbieter liegt laut „Handelsblatt“-Berechnungen bei 24 Prozent vor Zinsen und Steuern (Ebit), die Automobilindustrie kommt laut Center of Automotive Management auf 4,6 Prozent im Durchschnitt.

Doch trotz insgesamt hoher Marge dürften die neuen Zwangsrabatte die Gewinne einiger Pharmafirmen in Deutschland im laufenden Jahr erheblich belasten. Laut IMS-Health-Zahlen entfallen im ersten Halbjahr 2011 rund 27 Prozent des Rabattvolumen in Höhe von 1,14 Milliarden Euro auf allein fünf Unternehmen: Pfizer, Novartis, Roche, MSD und Astra Zeneca mussten den gesetzlichen Krankenkassen demnach durchschnittlich rund 60 Millionen Euro Rabatt gewähren. Aufs Jahr hochgerechnet setzen die Firmen also jeweils durchschnittlich 120 Millionen Euro weniger um, bei Deutschlandumsätzen zwischen einer und drei Milliarden Euro. Steuern sie auf der Kostenseite nicht gegen, schlagen die Rabatte direkt auf den Gewinn durch – mit Einbußen von 20 Prozent und mehr, wie ein Pharmaunternehmen dem Handelsblatt bestätigte.

Die Belastung in Deutschland relativiert sich allerdings mit Blick auf das weltweite Geschäft der meisten Pharmakonzerne, in dem Deutschland häufig nur eine nachgeordnete Rolle spielt. Die Rolle der Schwellenländer dagegen wächst. „Die Industrie ist global aufgestellt und kann damit global auf Preisdruck reagieren, wie ja die verschiedenen Kostensenkungsprogramme der Hersteller zeigen“, sagt Oliver Scheel, Leiter des Bereichs Pharma bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Branchenführer Pfizer beispielsweise gibt an, sich bei der Forschung auf Kernbereiche konzentrieren zu wollen und will dort weltweit mehr als zwei Milliarden Dollar sparen. Und Bayer baut derzeit weltweit 4500 Stellen ab und schafft 2500 neue in Schwellenländern.

Inwieweit die Pharmakonzerne auch in Deutschland noch Stellen abbauen, ist derzeit noch unklar. Sie sind in Warteposition, wie es ein Bayer-Sprecher formuliert, wie sich der Markt zusätzlich durch die seit diesem Jahr geltende frühe Nutzenbewertung verändern wird. Nach dem so genannten AMNOG-Gesetz müssen Pharmafirmen nun den Nutzen ihrer neuen Medikamente nachweisen und auf Basis der Bewertung die Erstattung mit den Kassen aushandeln. Während das Gesundheitsministerium mit dem neuen Gesetz jährlich bis zu zwei weitere Milliarden Euro einsparen will, können die Pharmafirmen die Auswirkungen für sich noch nicht abschätzen. Zahlreiche Details der Umsetzung seien noch offen, heißt es beispielsweise bei Boehringer Ingelheim. „Es existiert praktisch keine Planungssicherheit mehr.“

Trotz des hohen Spardrucks hat der deutsche Markt nach Ansicht von Scheel für die Branche nicht an Bedeutung verloren. „Deutschland ist immer noch der weltweit drittgrößte Pharmamarkt und hat im europäischen Vergleich nach wie vor einen sehr hohen Anteil an Arzneimittelausgaben pro Kopf.“Maike Telgheder (HB)

Maike Telgheder (HB)

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