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Wirtschaft: Pleiten kosten mehr als 60 Milliarden Euro

Im vergangenen Jahr mussten 37 579 Unternehmen aufgeben – aber nicht nur wegen der schlechten Konjunktur

Berlin (brö). Die schwache Konjunktur und ein neues Insolvenzrecht haben zu einem neuen Pleitenrekord in Deutschland geführt. Wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte, meldeten im vergangenen Jahr 37 579 Unternehmen Insolvenz an. Dies waren rund 5300 mehr als im Vorjahr und ein „gravierender“ Anstieg, erklärte das Statistikamt. Innerhalb von fünf Jahren ist damit rein statistisch gesehen die Zahl der Firmenpleiten um ein Viertel gewachsen. Wirtschaftsexperten führten die Pleitewelle auf die schlechte Konjunktur zurück und befürchten eine weitere Zunahme. Außerdem ist die Reform des Insolvenzrechtes für den Rekord verantwortlich. Einschließlich Verbraucherinsolvenzen haben die Statistiker im vergangenen Jahr 84 428 Pleiten gezählt. Davon waren 46 849 Insolvenzen von Verbrauchern, Gesellschaftern oder selbstständigen Unternehmern. Auf die neuen Länder entfielen 17 105 Insolvenzen und 8847 Firmenpleiten.

Seit Ende 2001 können auch mittellose Kleinunternehmer und Selbstständige ein Insolvenzverfahren beantragen. Sie haben nun die Möglichkeit, sich die Verfahrenskosten stunden zu lassen. Ein Insolvenzverfahren ist die Voraussetzung, um nach einer sechsjährigen „Wohlverhaltensphase“ von den Restschulden befreit zu werden. Danach ist ein Neuanfang möglich.Werden nur Personengesellschaften betrachtet, die vom neuen Recht nicht betroffen sind, stieg die Zahl der Firmenpleiten um 13 Prozent auf 24 025 Fälle.

Schaden für den Arbeitsmarkt

Diese Entwicklung blieb natürlich nicht ohne Folgen für den ohnehin angeschlagenen deutschen Arbeitsmarkt. Bei den betroffenen Unternehmen waren zum Zeitpunkt der Insolvenz 274 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Zahl der von einer Pleite betroffenen Arbeitnehmer dürfte weitaus höher liegen, da bei einem Fünftel aller Fälle von den Gerichten keine Angaben zu den Beschäftigten gemacht werden konnten.

Für die deutsche Volkswirtschaft entstand durch die Pleitewelle ein enormer Schaden. Der Grund: Gläubiger bekommen das Geld, das sie verliehen haben, nicht zurück. Die Gerichte bezifferten die offenen Forderungen 2002 auf 61,5 Milliarden Euro, darunter waren 51,8 Milliarden Euro gegen Unternehmen. Dies sei annähernd doppelt so viel wie im Jahr zuvor und Folge einer ungewöhnlich hohen Zahl von Großpleiten, erklärte das Statistikamt. Im vergangenen Jahr hatte das Aus für Unternehmen wie den Baukonzern Philipp Holzmann, den Maschinenbauer Babcock Borsig, die KirchGruppe oder die Frankfurter Gontard und Metallbank monatelang Schlagzeilen gemacht. Damit stellte Deutschland sieben der zehn größten Unternehmensinsolvenzen in Europa.

Wirtschaftsforscher machen für die Probleme der Unternehmen neben dem geänderten Insolvenzrecht die schlechte Konjunkturlage verantwortlich. Die Steigerungsraten für das Bruttoinlandsprodukt werden für das laufende Jahr nur noch auf bestenfalls 0,5 Prozent geschätzt. Das trifft vor allem kleine und mittlere Unternehmen. „Die Lage war noch nie so schlecht“, sagte Gunter Kayser vom Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM). Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zufolge haben 99 Prozent aller ausgeschiedenen Unternehmen weniger als 100 Mitarbeiter. Außerdem sind sie meist im schwächelnden Dienstleistungssektor tätig, selten in der noch prosperierenden Exportbranche.

Kein Geld von der Bank

Ein Beleg für die schlechte Wirtschaftslage ist auch eine Umfrage des Verbands der Vereine Creditreform. Vor allem Handwerksbetriebe berichten von großen Problemen. Nur sechs von hundert befragten Unternehmen wollen in diesem Jahr ihr Personal aufstocken, jedes dritte plant dagegen, Mitarbeiter zu entlassen. Außerdem gaben zwei Drittel der befragten Betriebe an, in diesem Jahr nicht investieren zu wollen.

Verantwortlich für die Pleitewelle ist außerdem die restriktive Kreditvergabe der deutschen Banken. „Vor allem private Großbanken drehen dem Mittelstand derzeit den Geldhahn zu“, sagt Creditreform-Chefvolkswirt Michael Bretz. Deshalb werde die Pleitewelle vermutlich auch in diesem Jahr weitergehen. „Wir erwarten zwischen 40 000 und 42 000 Insolvenzen in 2003“, sagt Bretz. Selbst ein möglicher Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte könne diese Bilanz nicht mehr aufpolieren.

Mehr zum Thema im Internet:

www.ifm-bonn.org

www.creditreform.de

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