zum Hauptinhalt

Porträt: Künftiger Bayer-Chef sieht "keinen Sanierungsbedarf"

Der designierte Bayer-Chef Marijn Dekkers absolviert seine ersten Auftritte – bald auch in Berlin. Mögliche Ängste vor einer "rein amerikanischen Managermentalität" versucht er zu zerstreuen.

Als das Signal kam, dass er wirklich der nächste Vorstandsvorsitzende des Bayer-Konzerns werden würde, machte er gerade in der Nähe, in seiner alten Heimat, Urlaub: im niederländischen Nimwegen bei seinen beiden älteren Schwestern, rund 150 Kilometer rheinabwärts vom Bayer-Sitz in Leverkusen. Marijn Dekkers packte die Schwestern, seine Frau und die drei Töchter in zwei Autos, und alle zusammen brausten sie nach Düsseldorf, um sich umzusehen. Dort wollten sie hinziehen – eine angenehme Stadt mit einer internationalen Schule. Zur Einstimmung kaufte er ein Düsseldorf-Monopoly.

Der 52-Jährige mit niederländischem und amerikanischem Pass stammt aus Tilburg, er hat in Nimwegen und Eindhoven studiert, einst in Emmerich Oberligatennis gespielt – und seit Jahresanfang sind Leverkusen und Düsseldorf seine Welt. Doch die Verortung in der engen niederländisch-deutschen Rheinregion täuscht: Hinter Dekkers liegen 25 Jahre einer Top-Karriere in den USA. Als kleiner Chemiker ging er zu General Electric, wurde Manager, Sanierer, Stratege. Zuletzt machte er aus dem Laborgerätehersteller Thermo Electron den Weltmarktführer, indem er eine doppelt so große Firma übernahm und binnen einen Jahres integrierte. In den vergangenen fünf Jahren hat er ein persönliches Einkommen von über 100 Millionen Dollar erzielt.

Anzusehen ist ihm der Erfolg nicht. Einen schmal geschnittenen blauen Anzug trägt er, dazu eine einfarbig weinrote Krawatte, das rote schüttere Haar streng gescheitelt, am Handgelenk eine unscheinbare Uhr mit Lederarmband. „Ich habe ein paar finanziell sehr erfolgreiche Jahre hinter mir“, stapelt er tief, als er sich an seinem 13. Arbeitstag einer ausgewählten Runde von Journalisten vorstellt. Er werde jetzt weniger verdienen; wegen des Geldes gehe er nicht zu Bayer. „Wenn man den Anruf bekommt, um ein so unglaubliches Unternehmen zu führen, dann ist es schwer, nein zu sagen.“

Das unglaubliche Unternehmen steht für bald 150 Jahre Industriegeschichte, für das gute alte Aspirin und neuartige Milliardenpräparate wie Xarelto gegen Blutgerinnung, für Pflanzenschutz und Chemieprodukte, für mehr als 30 Milliarden Euro Jahresumsatz und 110 000 Beschäftigte – und inzwischen auch besonders für Berlin: Seit gut drei Jahren gehört das Traditionsunternehmen Schering zu Bayer und hat dafür gesorgt, dass die Krise nicht ganz so hart durchschlägt. Denn während Pharmaprodukte bestens laufen, wurde die Chemiesparte von der Rezession empfindlich getroffen. Erst in drei, vier Jahren sieht Werner Wenning, der scheidende Bayer-Chef, die Chemiebranche wieder auf dem alten Niveau.

Dekkers tritt den Vorstandsvorsitz erst am 1. Oktober an – dass er sich als einfacher Vorstand für die Gesundheitssparte darauf vorbereitet, hat eine innere Logik: Er sitzt im Gewinnerteam. Ein Kulturbruch ist seine Berufung, weil er von außen kommt. Der 63-jährige Wenning verkörpert den alten Schlag: Er wurde sogar in Leverkusen geboren, er kam ohne Abitur vor fast 44 Jahren als Lehrling zu Bayer und diente sich hoch.

Über die künftige Strategie sagt der Alte nicht mehr viel und der Neue noch weniger. Das Kerngeschäft durch gezielte Akquisitionen anderer Unternehmen und durch neue Produkte zu stützen – so beschreibt Dekkers seine Herangehensweise. Damit ist er ein typischer Portfoliomanager; jemand, der nicht in Traditionen denkt, sondern nach dem Produktmix sucht, das den meisten Gewinn abwirft. Bayer sei gut geführt, habe starke Marken und klasse Leute. „Klar ist: Das Unternehmen ist sehr gut aufgestellt“, sagt er. „Hier gibt es keinen Sanierungsbedarf.“ Er komme nicht mit „einer rein amerikanischen Managermentalität“, versucht er Ängste vor Kahlschlag und sozialer Kälte zu dämpfen – doch dann scheint für einen Moment der heimatlose Globalisierer durch: Ein europäischer Amerikaner sei er, kein amerikanischer Europäer. Als Niederländer empfinde er sich jedenfalls nicht mehr.

Gerade mit ihm könnte Berlin gewinnen, weil es hier gut läuft. Der Vorstandsposten für die Gesundheitssparte wird mit seinem Wechsel an die Spitze wieder vakant – und einer der Kandidaten dürfte Andreas Fibig sein, der seit anderthalb Jahren Bayer-Schering-Pharma in Berlin leitet und ebenfalls aus den USA zurück nach Europa kam. Vielleicht könnte Fibig sogar beide Posten ausfüllen, von Berlin aus? Ein schöner Hauptstadttraum, der das Ende des Schering-Traumas wäre.

Nächste Woche ist Dekkers erst mal beim Weltwirtschaftsforum in Davos, dann sieht er sich sein erstes Bayer-Leverkusen-Spiel an, und übernächste Woche besucht er die Schering-Stadt. Zum ersten Mal seit gut 20 Jahren ist er hier. Am Flughafen Tegel wird ihm gleich der riesige Bayer-Slogan „Science For A Better Life“ (Wissenschaft für ein besseres Leben) ins Auge fallen, den er als promovierter Chemiker so mag. Termine mit Politikern sind nicht geplant, er will die Belegschaft in Wedding kennenlernen.

So sehr er charismatische Managerlegenden wie Jack Welch preist, unter dem er einst gearbeitet hat – er selbst ist kein großer Charismatiker. „Ich wollte früher Professor an einer namhaften Universität werden“, räumt er ein. Seine ungelenke Offenheit, das bescheidene Auftreten, gepaart mit schroffer analytischer Kühle machen den neuen Bayer-Chef aus.

Seine Frau und die Töchter – die älteste ist elf, die Zwillinge sind zehn – bleiben bis zum Ende des Schuljahres in Boston. Da liegt auch das Düsseldorf-Monopoly; Dekkers hat sich inzwischen ein echtes Haus in Düsseldorf gekauft und angefangen, es einzurichten. „Das ist vielleicht das Schwierigste, was ich in den letzten Wochen gemacht habe“, lächelt er. Die Herausforderungen werden wachsen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false