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Position: Betreuungsgeld setzt falsche Anreize

Nach der Agenda 2010 brauchen wir eine Demografiestrategie.

Deutschland im Jobwunder: Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr, die Zahl der Erwerbstätigen erreicht mit 41,1 Millionen Rekordniveau. Viele sehen unser Land auf einem stabilen Weg zur Vollbeschäftigung – nicht zuletzt dank des Entlastungseffekts durch den beginnenden demografischen Umbruch.

Doch wer glaubt, diese Entwicklung führe gleichsam von selbst zum großen Ziel, irrt. Unser Arbeitsmarkt ist auf die neuen Herausforderungen eher unzureichend vorbereitet. Wollen wir unser Beschäftigungssystem demografiefest machen, brauchen wir nach der „Agenda 2010“ jetzt ein weiteres Reformpaket.

Benötigt wird eine Demografiestrategie für mindestens vier zentrale Handlungsfelder: 1. Jugendliche brauchen bessere Qualifizierungschancen. Denn der Anteil junger Erwachsener, die weder einer schulischen oder beruflichen Ausbildung noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, liegt im OECD-Vergleich bei uns überdurchschnittlich hoch. Hier sind die größten Risiken für eine sich strukturell verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit. Es muss daher gelingen, Bildungs- und Beschäftigungssystem besser aufeinander abzustimmen. Die Bildungsrepublik Deutschland ist eher Vision als Realität.

2. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss wesentlich verbessert werden. Sowohl bei der jährlichen Geburtenrate, die sich seit 1967 nahezu halbiert hat, wie auch bei der Quote der weiblichen Erwerbstätigkeit ist Deutschland international zurückgefallen. Trotz staatlicher Aufwendungen von jährlich fast 200 Milliarden Euro für Ehe und Familie ist also eine doppelte Zielverfehlung zu konstatieren. Mit dem geplanten Betreuungsgeld werden weitere Fehlanreize für die Erwerbstätigkeit junger Mütter gesetzt. Besser sollten alle verfügbaren Ressourcen der Kombination von Familie und Arbeit dienen. Dann könnten bis zu 1,5 Millionen Vollzeitstellen allein durch derzeit nicht erwerbstätige Mütter besetzt werden. Jede Frau, die beruflich nicht in die Position kommt, für die sie qualifiziert ist, kostet Wachstum.

3. Ältere werden länger gebraucht. Noch immer liegt Deutschland hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung dieser Gruppe hinter Ländern wie Schweden, Norwegen oder den USA zurück. Doch die Demografie erzwingt mit dem Rückgang der Erwerbsbevölkerung und ihrer Alterung ein Umdenken. Das Festhalten an starren Rentenaltersgrenzen ist nicht zeitgemäß.

4. Eine arbeitsmarktorientierte Migrationspolitik ist überfällig. Deutschland kommt an einer transparenten, bedarfsgesteuerten Zuwanderung für Fachkräfte nicht vorbei, tut sich damit aber immer noch schwer, wie derzeit die mühevolle Umsetzung der EU-weiten „blue card“ in nationales Recht zeigt. Wir müssen uns fragen, wie unser Arbeitsmarkt global attraktiver wird. Denn der drohende Rückgang der Bevölkerung – bis 2030 auf etwa 77 Millionen, bis 2060 auf 65 Millionen – gefährdet die Grundlagen unserer sozialen Sicherung: Allein die Verschiebung der Altersstruktur belastet unseren Staat bis 2020 mit 70 Milliarden Euro zusätzlich. Uns fehlen bis zum Jahr 2030 sechs Millionen Arbeitskräfte. Wollen wir nicht Wachstum und Wohlstand gefährden, müssen wir massiv gegensteuern.

Klaus F. Zimmermann ist Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn.

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