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Wirtschaft: Post aus Washington: Lauter neue Millionäre

Wie arbeitet man in Amerika und Afrika, wie legt man Geld in Japan oder Russland an? Fernab von den Nachrichten über Fusionen und das Auf und Ab der Börse berichten Korrespondenten immer sonntags über die Menschen hinter den Nachrichten - in Washington, Kapstadt, Tokio und Paris.

Wie arbeitet man in Amerika und Afrika, wie legt man Geld in Japan oder Russland an? Fernab von den Nachrichten über Fusionen und das Auf und Ab der Börse berichten Korrespondenten immer sonntags über die Menschen hinter den Nachrichten - in Washington, Kapstadt, Tokio und Paris.

Die sonst für ihre Freundlichkeit berühmten Amerikaner haben eine ausgefallene Vorliebe: den Rechtsweg. In keinem anderen Land werden Unternehmen, Ärzte oder Städte so häufig und mit so großer Inbrunst vor den Kadi gezerrt wie in den USA. Jüngster Fall: Die Mutter eines Teenagers hat den Schweizer Pharmakonzern Hoffman-La Roche verklagt, nachdem ihr Sohn im Januar mit einer Cessna in Florida in ein Bürogebäude gerast war und zuvor in einem Abschiedsbrief seine Sympathie für Osama bin Laden bekundet hat.

Was La Roche damit zu tun haben soll, versteht man erst bei näherem Hinsehen. Der Junge, Charles Bishop, stand zur Zeit des Selbstmords unter dem Einfluss des La Rocheschen Medikaments Accutane, einem Mittel gegen Akne. Dieses habe, so die Klage, bei dem Jungen eine Psychose ausgelöst, die ihn in den Selbstmord trieb. Die Schadensersatzforderung beläuft sich auf 70 Millionen Dollar. Begründung: La Roche wisse, dass das Medikament Depressionen und Psychosen hervorruft und das Risiko von Selbstmordversuchen vergrößert.

Im Fall Charles Bishop ist das Klagemotiv nachvollziehbar. Hoffman-La Roche warnt Ärzte tatsächlich vor dem Risiko von Selbstmorden und verlangt von den Patienten, dass sie einen Hinweis unterschreiben, der sie über Nebenwirkungen informiert.

Doch mit solchen Warnungen hat sich Hoffman-La Roche noch lange nicht hinreichend abgesichert, zumindest nicht in den USA. Dort haben Unternehmen die Kosten für mögliche Klagen längst in ihre Kalkulation einbezogen. So wissen etwa Autohersteller bereits, womit sie im Fall eines Falles rechnen müssen: Versagende Anschnallgurte kosten 7,9 Millionen Dollar, platzende Reifen und blockierte Bremsen jeweils vier Millionen.

Aber nicht nur Firmen sind Ziel der Kläger. Die Kosten für Krankenversicherungen sind nicht zuletzt deshalb so hoch, weil Ärzte bei Untersuchungen zahllose Tests durchführen, um nicht nachher wegen Fehldiagnosen verklagt zu werden. In Kalifornien bekam eine Frau 27 700 Dollar, weil ihr Rottweiler nach einer Behandlung beim Tierarzt Zahnschmerzen bekam. Städte als Betreiber öffentlicher Anlagen gehören ebenso zur Zielscheibe. Folge: Auf vielen Spielplätzen fehlen Klettergeräte, weil Gemeinden fürchten, nach einem Unfall verklagt zu werden.

Profiteure der Streitlust sinddie Anwälte, deren Stunden-Honorare zwischen 300 und 700 Dollar liegen und die bei Sammelklagen Millionen-Gehälter kassieren. Die Praxis von Erfolgsbeteiligungen bietet für Anwälte enorme Anreize, nach potenziellen Klägern zu suchen und schafft laut Spöttern in den USA lauter Über-Nacht-Millionäre. Leidtragender dieser Klagewut ist der gemeine Bürger, da Städte die Steuern erhöhen, Unternehmen die Preise und Versicherungen die Prämien. Dagegen lässt sich nicht klagen.

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