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Pin Mail behauptet, man nutze die Daten vor allem für die nachträgliche Rechnungslegung für Großkunden.

© dpa

Postfirma: Pin Mail hortet Millionen Briefdaten

Die Berliner Postfirma Pin Mail AG erfasst und speichert seit Jahren Adressdaten, die bei der Sortierung der Post von Behörden, Gerichten und Firmenkunden anfallen. Damit könnte die Pin AG aus Expertensicht systematisch gegen Datenschutz- und Postgesetz verstoßen.

Er wolle die Stadt „einfach grüner machen“, hat Pin-Mail-Chef Axel Stirl einmal gesagt. Er meinte sicher die Farbe der Uniformen seiner Zusteller oder Pins Engagement für den Klimaschutz. Grün ist außerdem die Farbe der Hoffung: die, dass es möglich ist, aus dem Nichts eine Firma aufzubauen, die der Deutschen Post, dem gelben Marktführer mit bester Politik-Vernetzung, ernsthaft Konkurrenz machen kann – auch zum Wohle der Verbraucher.

Doch nun, gut 13 Jahre nach Beginn dieses Experiments, können Millionen Bürger und Hunderte Firmen nur hoffen, dass ihr grüner Dienstleister stets sorgsam mit den Informationen umgegangen ist, die automatisch bei der Briefbeförderung anfallen. Ganz sicher sein können sie nicht. Denn Pin Mail scheint sich nur schwer von einmal erfassten Daten trennen zu können. Wer vor Jahren ein paar Mahnbescheide oder Post von der Polizei bekommen hat: Pin Mail könnte sich daran erinnern.

Im Schnitt 421 000 Sendungen beförderte die Firma allein im vergangenen Jahr – jeden Tag. Also insgesamt knapp 154 Millionen. 27 Millionen davon stammten von Berliner Behörden und Gerichten. Nach der Annahme fotografiert Pin maschinell jeden Umschlag und liest daraus mit einer Software die Erfassungsdaten aus, also Straße, Hausnummer und Postleitzahl der Empfänger – allerdings keine Personennamen, wie die Firma über ihre Anwältin mitteilt. So lässt sich Post nach Zustellbezirken vorsortieren. Das machen heute alle Postdienstleister so. Doch was machen sie dann damit? „Wir brauchen diese Daten nur, damit ein Mitarbeiter auf einem Bildschirm an der Sortiermaschine gegebenenfalls falsche oder unleserliche Adressen korrigieren kann“, sagt Rolf Schulz, Sprecher des übermächtigen Pin-Konkurrenten Deutsche Post. „Dann löschen wir die Daten sofort“, beteuert er. Die Ausnahme seien natürlich Schreiben, bei denen der Absender ausdrücklich eine Nachverfolgung wünsche. „Wir müssen sonst nichts speichern, wofür auch?“, fragt Schulz.

Bei Pin Mail meint man: für das Retourenmanagement, die Qualitätssicherung, das Reklamationsmanagement, die Rechnungslegung und fürs Servicecenter, wo Anfragen der Großkunden beantwortet werden. Auf die Frage, ob auch für die Kundenakquise zuständige Mitarbeiter, Zugriff auf Postdaten haben, heißt es: „Ja, aber nicht zur Kundenakquise!“ Sondern zur Betreuung von Bestandskunden.

Einen davon hatte Pin schon verloren, bevor die Tagesspiegel-Redaktion ihn anrief, um der Geschäftsführung mitzuteilen, dass ihr Fotos von Briefumschlägen mit Rechnungen vorliegen, die die Firma ihren Kunden geschickt hat. „Wir wussten nicht, dass Pin solche Daten speichert“, erklärte ein Sprecher des Ersatzteilhändlers Kfzteile24 aus Berlin-Lichtenberg. „Und hätten wir es gewusst, hätten wir es untersagt.“ Gekündigt habe man jedoch, weil man unzufrieden mit dem Service gewesen sei.

Pin teilt dazu mit: „Die Regelungen wurden kommuniziert, bei einigen Kunden sind sie ausdrücklich vertraglich fixiert.“ Doch auch nach erneutem Lesen der Verträge habe man keinen entsprechenden Hinweis finden können, behauptet Kfzteile24. Dort empfindet man bei den Gedanken, Konkurrenten könnten erfahren, wo genau die eignen Kunden wohnen, großes Unbehagen.

Das liegt vor allem am Umfang des Datensatzes: Drei Monate lang speichert Pin nach eigenen Angaben die Fotos von Umschlägen, die digital erfassten Daten daraus fünf Monate. Bei nachweispflichtigen Sendungen sogar ein Jahr lang. Das könnte auf Basis der in 2012 beförderten Sendungen bedeuten, dass jeder dieser Mitarbeiter im Schnitt auf bis zu 64 Millionen Postwege zugreifen kann – weil alle Daten, egal von welchem Absender, in einer zentralen Datenbank landen, wie Pin Mail einräumt.

So können die Mitarbeiter auch nach Monaten zumindest bei dem überwiegenden Teil der Behörden- und Firmenpost nachvollziehen, wer wem wann geschrieben hat: der Polizeipräsident, das Finanzamt, das Amtsgericht, die Allianz, die Barmer GEK, die Gasag, der Dienstleister Dussmann, der Klinikkonzern Vivantes, Amazon oder der Verlag Der Tagesspiegel etwa. Auch er ist Großkunde – und gehörte übrigens wie Pin Mail zeitweilig zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, bis deren Eigentümer Stefan von Holtzbrinck den Tagesspiegel Mitte 2009 an die Holding seines älteren Halbbruders Dieter von Holtzbrinck abgab.

Womöglich 1,48 Milliarden Datensätze

Pin Mail entzieht die erfassten Daten zwar nach dem angegebenen Zeitraum dem direkten Zugriff der Mitarbeiter, archiviert sie aber auf einem Magnetband, das in einem Bankschließfach lagert. Bis Anfang 2012 der Speicherplatz knapp wurde, seien dort auch zusätzlich sämtliche Informationen als Bilddaten hinterlegt worden – „als Ursprungsbeleg für Belange des Steuerrechts und der Wirtschaftprüfung“, lautet die Begründung. Aus Daten zum Sendevolumen lässt sich schließen, dass Pin heute bis zu 1,48 Milliarden Kombinationen aus Absender- und Empfängeradressen im Schließfach deponiert haben könnte.

Wofür wäre so ein Datenschatz gut? Die Nutzung für so genannte Scoring-Dienste läge nahe. Wer Straßenzüge kennt, in den etwa viele Mahnbescheide zugestellt werden, könnte daraus ein Kreditausfallrisiko abschätzen. Versandhändler zahlen Auskunfteien für diesen Service viel Geld. „Es erfolgt keine Nutzung zu Scoring-Zwecken“, erklärt Pin. Man nutze die Daten grundsätzlich zur nachträglichen Rechnungslegung. Aber: Man entwickele im Haus derzeit ein Software, „um mit Hilfe der Zustelldaten eine gerechtere Lastenverteilung innerhalb der Zustelltouren zu unterstützen“.

Paragraph 41 des Postgesetzes erlaubt es, Daten zu erheben, zu verarbeiten und zu nutzen, „soweit dies zur betrieblichen Abwicklung von geschäftsmäßigen Postdiensten erforderlich ist“, setzt dem aber enge Grenzen. Das Datenschutzgesetz mahnt zudem zur Datensparsamkeit.

Sowohl die Berliner Senatsverwaltung für Inneres, deren Landesverwaltungsamt Pin erstmals Ende 2001 beauftragt hatte, testweise Behördenpost zu befördern, wie auch das Büro des Bundesdatenschutzbeauftragten teilen mit, sie hätten bisher keine Hinweise gehabt, dass Pin gegen Datenbestimmungen verstößt. Man müsse den Fall selbst prüfen.

Er nehme diese Informationen aber „sehr ernst“, sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. „Sollten sie sich bewahrheiten, könnte gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen worden sein.“ Die Innenverwaltung will nun erstmals überhaupt jemanden zur Vor-Ort-Kontrolle in Pins Briefzentrum in Mahlsdorf am östlichen Berliner Stadtrand schicken. Und Innensenator Frank Henkel strebt offenbar personelle Konsequenzen an.

Die Pin Mail AG erklärt: „Die Einhaltung der Bestimmungen des Datenschutzes gehören für einen Briefdienstleister, also auch für die Pin Mail AG, zum Markenkern des Unternehmens. Weil dies so ist, richtet das Unternehmen darauf ein besonderes Augenmerk.“

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