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Erneuerbare Energie statt Kohlestrom. Und dann am besten den grünen Strom umwandeln in Wasserstoff - so stellt sich das Jörg Steinbach vor.

© imago/Johannes Koziol

Potsdams Wirtschaftsminister: „Brandenburg kann nicht positiv über sich reden“

Jörg Steinbach über die Stimmung im Land, die Zukunft der Lausitz und die Bedeutung von Wasserstoff für die Energie- und Mobilitätswende.

Herr Steinbach, wie geht es dem Land?

Besser denn je. Wir haben aber eine Diskrepanz zwischen dem Zustand, der sich an Statistiken und volkwirtschaftlichen Kennziffern ablesen lässt, und dem von der Bevölkerung empfundenen Zustand. Und diese Diskrepanz macht uns zunehmend Probleme.

Haben Sie eine Erklärung?
Es ist auch eine Generationenfrage. Viele Menschen, die heute im Rentenalter sind, sehen sich keineswegs als Gewinner der Wendezeit. Das Demografieproblem, das Fehlen junger Leute drückt auf die Stimmung im ländlichen Raum. Und dann dringen positive Nachrichten nicht mehr durch: Niedrigste Arbeitslosenzahl, Rückgang der Langzeitarbeitslosen, größtes Wachstum aller ostdeutschen Bundesländer. Die guten Zahlen sind für den Einzelnen vermutlich zu abstrakt.

Ist die Stimmung auf dem Land schlechter als in den Städten?
Im Speckgürtel ist die Situation durch die vielen Zuzügler selbstverständlich anders als zum Beispiel in der Prignitz. Aber dann gibt es das Problem der hohen Mieten in der Metropolregion. Sicherlich haben wir Probleme in der Lausitz durch die aktuellen Debatten um den Kohleausstieg. Elbe-Elster ist auch nicht auf Rosen gebettet. In regionalen Wachstumskernen wie Schwedt ist die Stimmung dagegen gut. Aber auch in der Lausitz tut sich in vielen Gegenden etwas.

Wie oft sind Sie in der Mark unterwegs?
Ständig. Wir fahren jede Woche rund 4000 Kilometer. Brandenburg ist eben ein großes Bundesland und der Besuch der Unternehmen vor Ort ist unverzichtbar. Ich will wissen, wo der Schuh drückt. Aber auch, für wen ich mit Blick auf die Außenwirtschaftsförderung Reklame machen kann. Ich war neulich in China, und vor der Reise habe ich mich natürlich informiert über die Hidden Champions in Brandenburg, die womöglich für Geschäfte mit chinesischen Partnern in Frage kommen.

Wie viele Champions gibt es in der Region?
Mindestens ein Dutzend. Viele kennt man überhaupt nicht. Und manche wollen auch nicht bekannt werden, sondern sich in Ruhe entwickeln und nicht als Übernahmekandidat identifiziert werden. Diese Zurückhaltung finde ich manchmal schade, weil Brandenburg viel mehr ein Wirtschafts- und Industriestandort ist, als viele das wahrnehmen.

Was erwarten die Firmen von Ihnen?
Zwei Themen werden fast immer angesprochen: die Komplexität der Förderverfahren und der Fachkräftemangel. Bei der Förderung leiden die Unternehmen unter einer Kleinteiligkeit und Bürokratie vor allem dann, wenn es auch um Brüsseler Mittel geht. Eine Firma mit zehn oder 20 Mitarbeitern hat einfach nicht die Kapazitäten, die komplexen Fördermodalitäten zu durchdringen. Das wird eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Legislaturperiode sein, da mal richtig zu vertikutieren und das System schneller zu machen. Zwischen Antragstellung und Genehmigung vergehen sechs bis zwölf Monate. Das ist nicht akzeptabel.

Und wo holen Sie Fachkräfte her?
Wir müssen die Demografie annehmen, wie sie ist, und dazu die Angel weiter auswerfen. Arbeitgeber und Kommunen müssen sich zusammentun und Pakete schnüren: Gute Arbeits- und Lebensbedingungen schaffen, Bauland zur Verfügung stellen, Kinderbetreuung gewährleisten.

Gibt es solche Initiativen?
Ja, ganz unterschiedliche. Die Stadtwerke in Schwedt zum Beispiel engagieren sich mit der Stadt zusammen etwa beim Betrieb eines Kinos und anderen Kulturangeboten.

Und das lockt die Fachleute von der Schwäbischen Alb in die Uckermark?
Natürlich braucht das Zeit. Brandenburg hat aber ein grundsätzliches Problem: Es kann nicht positiv über sich reden. Wer aber erst mal da war, der kommt auch wieder. Als ich noch in meinem Amt als Präsident der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg vor der Aufgabe stand, über 70 Professoren an die BTU zu berufen, da ging es denen so wie mir selbst ein paar Jahre zuvor: Man ist überrascht von der Attraktivität und der Lebensqualität. Das müssen die Städte und Regionen selbst viel besser vermarkten. Mich stört es, wenn da nur nach Heilsbringern aus Potsdam, Berlin oder Brüssel gerufen wird.

Eine Haltung aus DDR-Zeiten: Es wird sich schon jemand kümmern.
Es ist zwar besser geworden, aber wir haben noch Luft nach oben. Im letzten Dreivierteljahr ist es mir gelungen, rund 500 Arbeitsplätze nach Cottbus zu holen. Dazu gehören eine Airbus-Tochter für additive Fertigung, das Kompetenzzentrum für energieintensive Industrie, die Herstellung der Hybrid-Lok der Bahn und die Wartung von ICE-Zügen. Diese 500 Arbeitsplätze warten jetzt auf die Besetzung. Dafür braucht man eine Willkommenskultur und attraktive Bedingungen, die vor allem von den Menschen vor Ort kommen müssen.

Rechtsradikale Aufmärsche passen da nicht gut ins Bild.
Die ganz große Mehrheit ist nicht rechtsradikal. Die Mehrheit darf sich aber auch nicht in Geiselhaft nehmen lassen, sondern muss ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Das gilt auch für die Lausitz?
Ja. Es gibt genügend Konzepte und Projekte. Der größte Arbeitgeber, die LEAG, kann ungefähr mit der Hälfte der Belegschaft auch ohne Braunkohle existieren. Als Dienstleister im Bereich Energiewirtschaft ist viel möglich. Und die Einrichtungen, die wir nach Cottbus geholt haben, zum Beispiel die Mikrosystemtechnik, werden wachsen und ausstrahlen. Solche Institute müssen sich zu zwei Dritteln am Markt finanzieren. Über Patente, Ausgründungen und Kooperationen kann dann richtig Schwung entstehen.

Nach der Empfehlung der Kohlekommission sollen 18 Milliarden Euro Steuergelder für den Strukturwandel in der Lausitz zur Verfügung gestellt werden. Wann kommt das dafür nötige Maßnahmengesetz?
Am 28. August soll es im Bundeskabinett verabschiedet werden. Dann wird es im parlamentarischen Prozess spannend. Was mir Sorgen macht: Nur 25 Prozent der vorgesehenen Mittel sind sozusagen frisches Geld, 75 Prozent sollen durch Umschichtungen aufgebracht werden. Das wird vermutlich zu einer Neiddiskussion zwischen den Bundesländern führen und ein Kraftakt werden.

Seit neun Monaten ist Jörg Steinbach, zuvor Präsident der BTU Cottbus-Senftenberg und der TU Berlin, Wirtschaftsminister in Brandenburg.
Seit neun Monaten ist Jörg Steinbach, zuvor Präsident der BTU Cottbus-Senftenberg und der TU Berlin, Wirtschaftsminister in Brandenburg.

© dpa

Ihr Lieblingsthema ist Wasserstoff. Warum ist das für ein Flächenland wie Brandenburg interessant?
Anfang August stellen wir die Eckpunkte meiner Wasserstoff-Initiative vor. Derzeit sind wir ja das Vorzeigebundesland für erneuerbare Energien. Diese sind eine hervorragende Grundlage für die Gewinnung von grünem Wasserstoff. Jetzt wollen wir den nächsten Schritt gehen und das Vorzeigeland für die Nutzung der Wasserstofftechnologie werden.

Das ist Zukunftsmusik.
Nein: Eigentlich gehört schon jetzt an jede Windmühle ein Elektrolyseur, der den Strom in Wasserstoff umwandelt. Dann wäre sofort Schluss mit dem Verschenken überschüssigen Stroms und dem Abstellen von Windrädern. Wasserstoff kann man speichern und transportieren, zum Beispiel in Gasleitungen.

Und wer soll den Stoff nutzen?
Da ist viel denkbar. Prozesstechnik, die Herstellung von Stahl oder grünem Kraftstoff, der Antrieb von Transportern, Lastwagen oder Lokomotiven mit Brennstoffzellen. Wir haben im Augenblick noch einen Türspalt offen, um uns einen Vorsprung Ost zu erarbeiten. Gegenüber Japan, China und Südkorea sind wir schon wieder zehn Jahre hinterher.

Was machen die anders?
Die Bundesregierung beginnt gerade mit den Vorbereitungen für den Aufbau einer Forschungsfabrik zur Batteriezellenfertigung, die 2022 in Münster stehen soll, während die drei genannten asiatischen Länder keine Subventionen mehr in die Batterie stecken. Dort wird die Wasserstofftechnologie unterstützt.

Und Sie bringen Brandenburg gegen China und Japan in Stellung.
Auch bedingt durch meinen wissenschaftlichen Hintergrund sehe ich ein riesiges Potenzial und habe durchaus die Vision, Brandenburg in zehn Jahren zum Vorzeigeländle zu machen. Wir haben jedenfalls schneller eine Wasserstoffstrategie als der Bund. Und unser Weg wird deutlich nachhaltiger sein als das, was auf Bundesebene gerade passiert. Zumal wir uns unabhängiger machen von Rohstoffen, denn den Strom erzeugen wir selbst.

Und wer macht mit aus der Industrie?
Es gibt von Unternehmen viel Interesse, mit uns den Wasserstoffweg zu gehen. Im August werden wir dazu einen konkreten Fahrplan vorstellen.

Und wann fahren die Autos mit Brennstoffzelle durch Brandenburg?
Bald. Für den öffentlichen Personennahverkehr in Cottbus haben wir in China verabredet, dass zwei mit Wasserstoff betriebene Busse auf Eignung getestet werden. Das ist ein Anfang mit Signalwirkung. Und wir sollten beobachten, was sich in der Schweiz tut: Dorthin hat Hyundai gerade mehr als 1000 Autos mit Brennstoffzellen geliefert. Diese Fahrzeuge sind als Anreiz von der Maut befreit und haben eine Reichweite von bis zu 700 Kilometern. Das schaffen Elektroautos nicht.

Sie kriegen Ärger mit den Brandenburgern, wenn noch mehr Windräder aufgestellt werden, um den Strom für Wasserstoff zu produzieren.
Wir wollen bis 2030 mit Windenergieanlagen 10 500 Megawatt Leistung erzeugen. Derzeit kommen wir auf gut 7000 Megawatt. Da ist es kaum zu vermeiden, dass die Anlagen näher an Wohnbebauung heranrücken oder in Wäldern stehen. Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, geht das nicht anders. Auch das Thema CCU (Carbon Capture and Utilization) wird eine immer stärkere Bedeutung bekommen. Wir werden gezwungen sein, CO2 aus der Atmosphäre zurückzuholen. Allein die CO2-Vermeidung wird nicht reichen.

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