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Privathaushalte: Schuldenhochburg Berlin

In keinem Bundesland sind so viele Menschen überschuldet wie in Berlin. Ein neues Gesetz soll ihnen helfen.

Von Aufschwung keine Spur: Während sich die Wirtschaft erholt, wächst in vielen Haushalten die Schuldenlast. „Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise erreichen die Schuldnerberatungsstellen erst jetzt“, sagt Claus Richter, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Schuldner- und Insolvenzberatung. 6,5 Millionen Menschen sind nach Berechnungen der Auskunftei Creditreform überschuldet, und die Zahl wächst weiter.

Berlin auf dem letzten Platz

Besonders dramatisch ist die Situation in Berlin. Beim Ende März vorgestellten Schufa-Kreditkompass landete die Hauptstadt im Vergleich der Bundesländer 2010 nicht nur erneut auf dem letzten Platz, die Lage hat sich noch einmal verschlechtert: Der sogenannte „Privatverschuldungsindex“, der den Anteil ver- und überschuldeter Menschen an der Gesamtbevölkerung zählt, stieg von 12,1 auf 12,4 Prozent und ist damit höher als in jedem anderen Bundesland. „Die Berliner kommen immer häufiger in existenzbedrohende Situationen“, sagt Claus Richter. „Bei Alleinerziehenden und Familien ist das Armutsrisiko besonders hoch.“ Doch auch im übrigen Bundesgebiet nehmen die Probleme zu. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen erreichte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2010 mit 108 798 Verfahren einen neuen Höchststand.

Hilfe aus dem Ministerium

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will Betroffenen jetzt schneller helfen. Vor wenigen Tagen stellte die Ministerin ihr Konzept für eine Reform des Privatinsolvenzverfahrens vor, mit dem überschuldete Menschen ihre Schulden loswerden können. Die Wohlverhaltensperiode, während der Schuldner arbeiten gehen und den pfändbaren Teil ihres Einkommens abtreten müssen, soll von sechs auf drei Jahre verkürzt werden. Allerdings nur dann, wenn in der Zeit die Verfahrenskosten bezahlt werden und zumindest ein Teil der Schulden – im Gespräch sind 25 Prozent – getilgt werden.

In der Politik stößt der Plan auf Zustimmung. „Dass die Verkürzung der Wohlverhaltensphase mit flankierenden Maßnahmen zur Stärkung der Gläubigerrechte einhergehen soll, wird seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion uneingeschränkt begrüßt“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Union, Andrea Voßhoff, dem Tagesspiegel. Auch Burkhard Lischka, stellvertretender rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hält die Verkürzung für „grundsätzlich richtig“. Allerdings sieht er wie seine Kollegin Voßhoff noch Diskussionsbedarf, was die Rückzahlungsquote betrifft. Viele Schuldner hätten nicht das Geld, ein Viertel ihrer Verbindlichkeiten zurückzuzahlen. Lischka sieht die Gefahr, dass diese Menschen Freunde oder Angehörige anpumpen, um sich freizukaufen – und damit bereits den ersten Schritt in die Rückfälligkeit tun. „Ich bin für eine generelle Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auf vier oder fünf Jahre – ohne Teilentschuldung“, sagt Lischka.

Schuldnerberatungsstellen

Nach Meinung der Wohlfahrtsverbände ist eine Stärkung der Schuldnerberatungsstellen der beste Schuldnerschutz. „Viele Gläubiger verzichten auf ihre Forderungen oder zumindest einen Teil davon, wenn sich der Schuldner an eine Schuldnerberatungsstelle wendet“, weiß Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Doch von solchen Stellen gibt es viel zu wenige – auch in Berlin. Von 8000 Beratungen im Jahr 2000 ist die Zahl der Gespräche im Vorjahr auf knapp 24 000 gestiegen. Wartezeiten von bis zu neun Monaten sind die Folge. Bei existenzbedrohenden Krisen könnten Ratsuchende, denen der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung drohe, allerdings meist innerhalb von zwei Wochen beraten werden, sagt Richter.

Unsichere Finanzierung

Der Berliner Senat hat die Mittel für die Beratungsstellen in den vergangenen sechs Jahren zwei Mal aufgestockt. Im Zuge der Hartz-Reformen wurden 2005 2,5 Millionen Euro zusätzlich bewilligt, 2008 wurde die Unterstützung erneut um 500 000 Euro auf nun 5,6 Millionen Euro jährlich erhöht. Auch die Bezirke steuern etwas bei, so dass insgesamt 6,4 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Damit sei die Finanzierung ausreichend gewährleistet, sagte die Senatsverwaltung für Finanzen dem Tagesspiegel. Eine weitere Erhöhung sei vorerst nicht geplant.

„Die Aufstockung ist bei weitem nicht ausreichend“, meint hingegen Rainer-Maria Fritsch, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Soziales. „Mehr als die Hälfte der Beratungen werden zur Privatinsolvenz geführt. Nur ein Bruchteil der Bedürftigen kann versorgt werden.“ Die LAG kritisiert außerdem, dass die Aufstockung vor Ort nicht angekommen sei, weil im Gegenzug die Bezirke ihre Gelder gekürzt hätten. Das kritisiert auch Martin Matz, SPD-Bezirksstadtrat in Spandau. „Einige Bezirke haben die Erhöhung zum Anlass genommen, sich aus der Finanzierung zurückzuziehen“, sagt er. Dies beträfe vor allem die Bezirke Mitte, Lichtenberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Pankow.

Die Beratungsstellen beklagen zudem, dass die Abrechnung der Beratungstätigkeit allein nach der Zahl der Beratungen abgerechnet wird, jedoch nicht nach der Länge der Gespräche. Qualität und Nachhaltigkeit könnten jedoch nicht über reines Strichemachen gezählt werden. „Wir brauchen mehr Zeit“, sagt eine Vertreterin der Arbeiterwohlfahrt in Wedding.

Mehr Geld für die Schuldnerberatung ist im nächsten Haushalt jedoch nicht zu erwarten. Für 2011 rechnet die LAG nicht mit Besserung. „Die Tendenz weist eindeutig nach oben“, sagt Richter.

Dabei wächst die Gefahr, dass einzelne Stadtteile abgehängt werden: In der Leinestraße in Neukölln liegt die Überschuldung bei mehr als 31 Prozent. Doch auch in der Spandauer Neustadt sind mehr als 21 Prozent der Menschen verschuldet. „Bis auf drei Ortsteile mit jeweils geringem Rückgang der Überschuldungsquote weisen alle Bezirke eine Zunahme gegenüber 2009 auf“, sagt Richter.

Eine Übersicht der Beratungsstellen in Berlin und weitere Informationen finden Sie unter: www.schuldnerberatung-berlin.de

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