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Wirtschaft: Produktpiraten erobern alle Bereiche der Wirtschaft

Original oder Fälschung? Oft ähneln sie sich wie ein Ei dem anderen; selbst für geschulte Zollbeamte wird es immer schwieriger, kopierte Produkte zu erkennen.

Original oder Fälschung? Oft ähneln sie sich wie ein Ei dem anderen; selbst für geschulte Zollbeamte wird es immer schwieriger, kopierte Produkte zu erkennen. Weltweit verursacht Produkt- und Markenpiraterie nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft einen Schaden von jährlich rund 550 Milliarden Mark. Allein in Deutschland sind es 500 Millionen Mark, die dadurch an Umsatzverlusten und Steuereinbußen entstehen. Schätzungsweise 70 000 Jobs gehen so verloren.

"Die Fälschungen werden so gut, dass sie kaum noch erkennbar sind", sagt Alexandra Dellmeier, Sprecherin der Vereinigung zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Und längst sind es nicht mehr nur T-Shirts und Jeans, die in Osteuropa kopiert und billig auf Flohmärkten verkauft werden. "Alle Bereiche sind inzwischen betroffen", weiß Dellmeier. Während solch eine Jeans schlimmstenfalls Hautausschlag durch aggressive Chemikalien verursacht, kann es bei gefälschten Arzneimitteln sogar lebensgefährlich werden.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsbehörde (WHO) sind etwa sieben Prozent der weltweit im Handel befindlichen Pharmazeutika Kopien. Die meisten davon werden bisher in der Dritten Welt und weniger industrialisierten Ländern gehandelt. Mit fatalen Folgen: So starben vor zwei Jahren mehrere Kinder in Hawaii an verunreinigtem Hustensaft. "Über den Internethandel können kopierte Arzneimittel auch den Sprung nach Europa schaffen", befürchtet eine Sprecherin des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie. Die Verbraucher könnten bei einer Online-Bestellung den Vertriebsweg nicht nachvollziehen. Der Verband rät daher, Medikamente nur in der Apotheke zu kaufen. Die Hersteller versuchen inzwischen mit Minilabors vor allem in der Dritten Welt, Stichproben zu kontrollieren. "Für sie ist es auch ein großer Imageschaden", sagt die Sprecherin.

Auch Firmen aus anderen betroffenen Branchen greifen verstärkt zur Selbsthilfe. So hat beispielsweise der Softwarehersteller Microsoft eigene Detektive, die die Märkte in Osteuropa beobachten. Gängig sind vor allem gefälschte Mäuse, aber den größten Teil macht die Software aus. So vermutet der Verband der Softwareindustrie Deutschlands, dass es bei den Standardanwendungen eine Raubkopierate von 27 Prozent gibt, bei den Spielen liegt sie bei rund 200 Prozent. Dabei werden zwei Arten von Kriminalität unterschieden: Zum einen gibt es den Anwender, der die Sofware unrechtmäßiger Weise einsetzt und zum anderen den illegalen Händler, der die Raubkopien verkauft. Vor allem erstere verbreite sich immer mehr: "Das Arbeiten am heimischen Computer hat keine kriminelle Aura", vermutet eine Sprecherin. "Aber illegaler Softwareeinsatz ist kein Kavaliersdelikt.

Die "dicken Fische" sind allerdings die illegalen Händler. Wie in allen anderen Fällen von Produktpiraterie stehen dahinter meist mafiöse Banden, die die Kopien in Polen, Tschechien und in der Türkei herstellen. Abschreckung ist nur schwer möglich. "Die werden in ihrem Heimatland lächerlich gering bestraft", sagt Hans Jürgen Fuchs, Sprecher des Automobilherstellers Ford. Sein Unternehmen sei im Jahr 1994 der erste Automobilhersteller gewesen, der eine Markenschutzabteilung eingeführt habe.

Tätig werden kann der deutsche Zoll nur, wenn ihm ein Beschlagnahmeantrag des Herstellers vorliegt. Außerdem schulen Firmenvertreter die Zollbeamten, damit sie die gefälschten Produkte erkennen. Dazu müssen sie nicht das gesamte Modell in all seinen Feinheiten im Gedächtnis haben, oft sind es unauffällige Kennzeichen wie Hologramme, die das Original ausweisen. Zusätzlich zur Grenzkontrolle gibt es Firmendetektive, die auf kritischen Märkte stichprobenartig Muster kaufen und sie zur Kontrolle an ihren Auftraggeber schicken. Bei einem Treffer kommt es zur Razzia in Zusammenarbeit mit dem Zoll, der örtlichen Polizei und Staatsanwaltschaft.

Ford-Sprecher Fuchs war im letzten Sommer selbst bei einer Razzia in der Türkei dabei. "Während wir beschlagnahmt haben, wurden eifrig weiter Radkappen unter dem Namen von Toyota gefälscht." Ohne Antrag des Herstellers können die Behörden im Ausland nicht gegen die Produktpiraterie eingreifen. Der Ford-Sprecher schätzt den Schaden durch gefälschte Kfz-Ersatzteile auf weltweit drei Milliarden US-Dollar. Besonders betroffen seien Bremsbeläge, Radkappen, Spoiler und Fußmatten. Bei schlechter Qualität könnten diese auch ein Sicherheitsrisiko für den Autofahrer sein, einen schweren Unfall habe es deshalb in Deutschland allerdings noch nicht gegeben.

Ford rät trotzdem dazu, Ersatzteile nur bei autorisierten Händlern zu kaufen. Der ADAC sieht darin eine Strategie der Hersteller, durch Panikmache Kunden an die eigenen Werkstätten zu binden und so gleichzeitig den No-Name-Herstellern die Kundschaft abzugraben. "Die Bremsbeläge aus Kamelmist sind ein Schmarrn", sagt Gerhard Hutzler, Ingenieur im ADAC-Technikzentrum in Landsberg. Wer allerdings auf Polen-Märkten Ersatzteile kaufe, müsse mit Fälschungen rechnen. Ähnlich wie in der Pharmaindustrie gilt: Panik ist übertrieben, aber ein gewisses Misstrauen gegenüber Dumping-Preisen angebracht.

Svenja Wilke

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