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Zwischen 15 und 1000 Euro ist in der Prostitution alles möglich. Foto: dpa

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Prostitution: "Sexarbeit wird anderen Berufen schrittweise ähnlicher"

Bis zu 150.000 Prostituierte gibt es bundesweit. Auch im ältesten Gewerbe gibt es einen Trend zur Spezialisierung. Nachwuchssorgen kennt die Branche nicht.

Berlin - Ein Kleinwagen steht auf einem verschneiten Parkplatz. Jessica M. hat darin Sex mit einem Mann, der ihr danach ein paar Münzen gibt, insgesamt 15 Euro. Die 28-Jährige steigt aus dem Auto und wartet fröstelnd am Strich in der Berliner Kurfürstenstraße auf neue Kunden. Maria S. aus Moldawien bekommt ein paar Kilometer weiter in einem Großbordell 60 Euro pro Freier, 30 behält sie, der Rest ist Miete für das rotlichtgeflutete Arbeitszimmer samt Kondomen. Auf einer Kommode in einem Hotel im Stadtzentrum liegen 1000 Euro in einem Umschlag. Katja L., tagsüber Studentin, steckt ihn ein und packt mitgebrachtes Sexspielzeug aus. Der Hotelgast öffnet Sekt.

Stephanie Klee, seit 25 Jahren Hure, besucht einen Kunden in einer Seniorenresidenz. In Berliner Pflegeheimen hat sie schon Vorträge über „Sex im Alter“ gehalten.

Sexarbeit ist verschieden – und wird sich weiter ausdifferenzieren. Grundsätzlich ist „anschaffen gehen“ hierzulande seit 2002 nicht mehr strafbar. Sexarbeiterinnen stehen Krankenversicherungen offen, sie haben Anspruch auf Lohn, Finanzämter fordern Steuern. An der gesellschaftlichen Stigmatisierung hat das wenig geändert. Immer noch gilt nicht der Freier als unmoralisch, sondern die Sexarbeiterin. Geschätzt wird, dass nur ein Prozent der Huren als solche gemeldet sind. Die Landesinnenminister wollen Prostitution stärker überwachen. So soll es eine Meldepflicht für Sexarbeiterinnen geben, um Zwangsprostitution einzudämmen. Mit „Erlaubnispflichten für Prostitutionsstätten“ soll verhindert werden, dass Menschenhändler Bordelle betreiben. Polizisten zufolge gibt es kaum Hinweise, dass das Gesetz von 2002 einen „kriminalitätsmindernden Effekt“ gehabt hat.

Stephanie Klee ist dennoch vorsichtig optimistisch: „Sexarbeit wird anderen Berufen schrittweise ähnlicher“, sagt die Berlinerin, die auch Sprecherin des Bundesverbandes sexuelle Dienstleistungen ist. Wie in anderen Wirtschaftszweigen gibt es im Rotlichtmilieu einen Trend zu Spezialisierung. Die Prostitution konzentriert sich zunehmend in Großbordellen wie dem Artemis in Berlin-Charlottenburg, das neben Sauna und Pool auch ein Buffet bietet. Andere Häuser locken Kunden mit umstrittenen Rabatten: Sex für 70 Euro – gewissermaßen eine Flatrate für Sex.

Bis zu 150 000 Vollzeithuren gibt es Schätzungen zufolge bundesweit, weitere 250 000 Frauen bieten gelegentlich Sex gegen Geld an. Nur wenige Huren bekommen mehr als 2000 Euro im Monat zusammen. Durch den Zuzug aus Osteuropa hat sich das Verhältnis zwischen Freiern und Prostituierten zugunsten der Kunden entwickelt. Konnten vor 20 Jahren noch Huren die Preise vorgeben, ist der Konkurrenzdruck inzwischen so groß, dass sich Frauen vielerorts unterbieten.

Nachwuchssorgen kennt die Branche aber auch unter deutschen Frauen nicht. Wer keine Lust auf einen Bürojob hat oder in anderen Berufen gescheitert ist, wen Abenteuerlust oder schnelles Geld locken, findet via Annonce im Internet in wenigen Tagen zahlende Kunden.

Historisch existiert immer beides: Elends- und Edelprostitution. Neben angesehenen Hetären gab es im antiken Griechenland auch Hafenhuren, neben geschätzten Geishas in Asien wehrlose Zwangsprostituierte, neben bewanderten Kurtisanen in Europas Adelshäusern auch Massenbordelle für Soldaten.

Künftig wird käuflicher Sex verstärkt von Menschen nachgefragt werden, die bisher wenig mit Prostitution zu tun hatten. Klee geht etwa davon aus, dass die Zahl der Kunden mit Behinderungen und in Altersheimen steigen wird. Eine Berliner Heimleiterin erzählt, sie würde gern einen „Raum für Intimtreffen einrichten“, stehe mit dem kirchlichen Betreiber des Hauses aber noch vor Gesprächen.

Auch der Wellnessbordellbetrieb Artemis ist auf hilfsbedürftige Kunden vorbereitet: „Wichtig ist für uns, darauf hinzuweisen, dass das Artemis behindertengerecht eingerichtet ist“, wirbt der Laden. Es gebe eine Umkleidekabine und Dusche für Rollstuhlfahrer. „Sollte trotzdem einmal Hilfe benötigt werden, steht unser Personal gerne zu Verfügung.“

Noch zahlen Krankenkassen bedürftigen Menschen käufliche Zuneigung nicht. Aber immerhin gibt es im Versicherungsdeutsch schon einen angemessenen Begriff: Sexualassistenz. Hannes Heine

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