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Wirtschaft: Psychisch krank in jungen Jahren

Seelische Störungen sind der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit / Eine Ursache ist zu viel Stress

Berlin - Seelische Störungen waren im vergangenen Jahr der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Lag der Anteil psychischer Erkrankungen 1993 noch bei 15 Prozent, stieg er in den folgenden Jahren stetig und erreichte 2010 knapp 40 Prozent. Das hat die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ermittelt. Auffällig ist dabei, dass die Menschen immer jünger werden: Im Jahr 1980 waren die Arbeitsunfähigen im Schnitt 56 Jahre, heute sind sie nur noch knapp über 50 Jahre alt. Die rein psychisch Kranken sind sogar erst 48,3 Jahre.

Den Bundesvorsitzenden der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, Dieter Best, überrascht diese Entwicklung nicht. Einerseits beschleunige sich die Arbeitswelt immer mehr, Abläufe würden komplexer und Anforderungen höher. Klingelnde Handys, ständig E- Mails und der Druck von Vorgesetzten seien allgegenwärtig. Vor allem durch mobile Geräte sei eine Trennung zwischen Beruf und Privatleben für viele Arbeitnehmer kaum mehr möglich. Dazu komme die ständig steigende Arbeitszeit.

Außerdem würden psychische Erkrankungen heute besser erkannt. „Wo Menschen früher mit diffusen Schmerzen krankgeschrieben wurden, werden heute die psychischen Ursachen dahinter erkannt“, sagt Best. So würden zum Beispiel Schlafstörungen oder Nervosität inzwischen immer häufiger auch als Symptome einer Depression erkannt, erklärte der Psychologe auf Anfrage.

Auch im Bewusstsein der Gesellschaft und der Menschen habe sich etwas verändert. „Die Patienten sind heute eher bereit, eine Depression zu akzeptieren.“ Darüber hinaus würden die Hausärzte heute häufiger zu einem Therapeuten überweisen anstatt etwa nur Schmerzmittel gegen Rückenschmerzen oder Schlaftabletten zu verschreiben.

„Mittlerweile sind psychische Störungen der Hauptgrund für die Bewilligung von Erwerbsminderungsrenten“, sagte Dirk von der Heide, Sprecher der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Erst danach folgen Schwierigkeiten mit Skelett, Muskeln und Bindegewebe sowie Herz- und Kreislauferkrankungen. 71 000 Arbeitnehmer hörten im Jahr 2010 wegen psychischer Erkrankungen vor Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren auf zu arbeiten. Im Jahr zuvor bekamen 64 500 Personen aus diesem Grund erstmals eine Erwerbsminderungsrente.

Die Bundesministerien für Arbeit und Gesundheit sehen die Ursache der wachsenden Beschwerden ebenfalls in der Arbeitsverdichtung und einem offeneren Umgang mit psychischen Erkrankungen. Das Gesundheitsministerium kündigte für die „nächsten Wochen“ einen Vorschlag für Präventionsmaßnahmen an. Die Berliner IHK verwies auf die zunehmende Zahl von Gesundheitstagen in Betrieben oder etwa Sport- oder Physiotherapieangeboten in den Unternehmen.

Wenn sich ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig fühlt, muss dies am Ende eines mehrstufigen Verfahrens attestiert werden, um eine entsprechende Rente beziehen zu dürfen. Wer eine psychische Erkrankung bei sich festzustellen glaubt, geht zunächst zum Hausarzt, der wiederum zum Psychiater oder Psychologen überweist. Führt eine ambulante Therapie nicht zur Besserung, kann bei der DRV eine Rehabilitationsmaßnahme beantragt werden.

Drei Wochen dauert die Reha-Maßnahme in der Regel. „Auch nach dem stationären Aufenthalt müssen die Patienten weiter an sich arbeiten“, betont Dieter Best von der Psychotherapeutenvereinigung. Auch wenn in der Reha viel gelernt und verstanden werde, müssten die Patienten das im Anschluss in ihren Alltag integrieren. „Dafür brauchen sie Hilfe und eine regelmäßige Begleitung durch einen Therapeuten“, sagte Best. Denn gerade die Rückkehr in den Alltag sei die große Herausforderung, da viele Menschen direkt in alte Gewohnheiten zurückfallen würden.

Die Erfolgsrate der Reha ist hoch, betonte DRV-Sprecher von der Heide. „84 Prozent der psychisch Erkrankten schaffen es durch die Reha zurück in den Job.“ Wer schließlich auch nach der Reha nicht arbeitsfähig ist, der kann eine Erwerbsminderungsrente beantragen. Im Jahr 2010 gab es insgesamt 180 000 Fälle von verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Zahl der Anträge ist fast doppelt so hoch: 43 Prozent aller Anträge werden von der DRV abgelehnt.

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