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Am Puls der Zeit. Ab einer Verspätung von 60 Minuten können Kunden ein Viertel des Fahrpreises zurückverlangen.

© dpa

Pünktlichkeit: Züge fahren noch unzuverlässiger als zuvor

Die Bahn legt ihre Pünktlichkeit offen. Mit Verbesserungen tut sie sich schwer - trotz des milden Wetters im Vergleich zu den Vorjahren.

Freitag war ein Tag ganz nach dem Geschmack von Rüdiger Grube. Zumindest mit Blick auf das Wetter. Ruhiger Spätsommer über der gesamten Republik, kein Schnee, kein Sturm, kein Platzregen – beste Bedingungen für die täglich 27.000 Personenzüge im Reich des Bahn-Chefs. In den Hauptbahnhöfen, ob Berlin, Leipzig, Hamburg oder München, fuhren die meisten Züge pünktlich.

Das ist bei dem Staatskonzern keinesfalls die Regel. Irgend etwas bremst immer. Brennende Böschungen, bummelnde Bauarbeiter, umgestürzte Bäume, qualmende Loks, streikendes Personal, Schafe im Gleisbett – die Liste der Ursachen für Verspätungen ist lang. Dabei ist Pünktlichkeit für Grube „die wichtigste Messgröße für die Eisenbahn“.

In diesem Jahr fällt die Größe bislang durchwachsen aus. Zwar lag die Pünktlichkeit im Regional- und Fernverkehr Ende August bei 92,7 Prozent, wie interne Unterlagen des Konzerns zeigen, die dem Tagesspiegel vorliegen. Doch in insgesamt 16 der 34 ausgewerteten Wochen seit Jahresbeginn fuhren die Züge unzuverlässiger als in den beiden Vorjahren. Und das, obwohl die Bahn 2009 und 2010 große Probleme hatte, den Fahrplan einzuhalten. In den Wintern froren Weichen und Züge ein, in den Sommern versagten Klimaanlagen, so dass ICEs und ICs gestoppt werden mussten. Ein Bahn-Sprecher wollte die Zahlen am Freitag nicht kommentieren.

Jahrelang galt die Pünktlichkeit als Verschlusssache. Aus gutem Grund, fuhr im Dezember 2010 zeitweise nur ein Fünftel der ICEs und ICs pünktlich. Am kommenden Dienstag will die Bahn aber erstmals seit einem Jahrzehnt offenlegen, wie sie sich im Kampf gegen die Uhr schlägt. Aufgeschlüsselt nach Regional- und Fernverkehr – aber nur auf Monats- statt auf Wochenbasis. „Das ist ein großer Schritt für uns“, hatte Grube bei der Ankündigung im Juli gesagt. „Wir wollen uns messen lassen an unserer tatsächlichen Leistung – offen, ehrlich und transparent.“ Sein Vorgänger Hartmut Mehdorn hatte kurz nach dem Amtsantritt 1999 eine ähnliche Transparenz-Aktion stoppen lassen.

Als pünktlich gilt bei der Bahn jeder Zug, der maximal fünf Minuten später als geplant abfährt. Die Offenlegung ist Teil von Grubes Plan, das schlechte Image des Konzerns zu verbessern. Bei Kundenvertretern kommt die Idee gut an. „Mir ist eine Schlechtleistung, die man offenlegt, lieber als eine Schlechtleistung, die verheimlicht wird“, sagt Karl-Peter Naumann, Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn. Viel ändern werde sich für die Kunden aber nicht. „Jeder kann schon heute im Internet nachsehen, ob der Zug, in den er einsteigen will, pünktlich fährt.“

Lesen Sie auf der folgenden Seite, warum die hohen Pünktlichkeitswerte der Bah nicht die ganze Wahrheit erzählen.

Insgesamt halte man den Fahrplan besser ein als 2010, wirbt die Bahn in dem Papier für den Aufsichtsrat. Auf 2009 verweist sie darin nicht. Zwar hätten die Werte zwischen Ende Februar und Anfang Juni unter denen von 2010 gelegen. Die Pünktlichkeit habe sich aber „in den letzten Wochen stabilisiert und liegt meist leicht über dem Niveau des Vorjahres“. Zwischen dem 6. Juni und dem 21. August habe es etwa „geringere Auswirkungen durch Baumaßnahmen“ gegeben und einen „Rückgang der gefährlichen Ereignisse (z.B. Böschungsbrände, Suizide)“. Ende August seien die Zahlen wieder schlechter geworden „durch Unwetter (Bäume im Gleis)“.

Die anhaltenden Probleme mit der Pünktlichkeit dürften vor allem am schlechten Zustand der Schienen und den vielen Baustellen liegen. Auch der Fahrzeugmangel macht sich bemerkbar – Ausfälle kann die Bahn nicht sofort ausgleichen, weil die Reserve an ICEs und Regionalzügen fehlen. Die Industrie tut sich schwer, Nachschub zu liefern, die Bahn liegt mit den Herstellern im Clinch.

Auf den ersten Blick hohe Pünktlichkeitswerte von mehr als 90 Prozent erzählen aber nicht die ganze Wahrheit. Die meisten Züge fahren im Nah- und Regionalverkehr – angesichts kurzer Strecken ist es vergleichsweise einfach, den Fahrplan einzuhalten. Selbst die Berliner S-Bahn kam im Juli auf 96,2 Prozent. Die roten Regionalbahnen in der Hauptstadtregion waren nur zu 85,2 Prozent pünktlich. Für Hans-Werner Franz, Chef des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg, ist das „auf keinen Fall ausreichend“. 100 Prozent seien zwar nicht immer erreichbar, doch „diese Marke muss das Ziel der Bahn sein“, sagte er dem Tagesspiegel.

Die Manager des Fernverkehrs können von solchen Werten nur träumen. Laut einer Stichprobe der Stiftung Warentest über mehrere Monate verspätet sich im Schnitt jeder dritte IC oder ICE. Je länger die Strecke, desto höher das Risiko von Störungen, weil auch Güter- und Regionalzüge auf dem dichten Schienennetz bummeln und es an Überholgleisen mangelt.

Viel besser wird die Pünktlichkeit in den kommenden Monaten wohl nicht werden. Der Herbst naht – und wenn Laub auf die Schienen fällt, geraten die Züge ins Rutschen, müssen ihr Tempo drosseln und fahren unpünktlicher. Das Problem: Der viele Regen im Sommer hat die Bäume und Blätter kräftiger wachsen lassen als üblich. „Wenn der Herbst feucht wird, wird es wieder schwierig für die Bahn“, befürchtet Bahn-Professor Markus Hecht, Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge an der TU Berlin. „Es fehlen Reinigungsfahrzeuge.“ Mit Blick auf den Winter macht sich der Konzern ohnehin keine Illusionen. Die fehlende Fahrzeugreserve lasse sich kaum kompensieren, vor einer „extremen Herausforderung“ stehe man, sagte Bahn-Chef Grube unlängst. „Ich kann mich hier nicht hinstellen und sagen, im Winter läuft alles wie geschmiert.“

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