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© Mike Wolff

Quelle: Das letzte Geschäft

Der Ausverkauf erreicht die Quelle-Shops. Die Kunden drängen sich, die Inhaber fürchten um ihre Existenz.

Der Laden von Astrid Krüger ist nicht groß. Aber der Platz reicht für die Poststelle, den Kiosk und den Quelle- Shop. Waschmaschinen, Kühlschränke und Geschirrspüler stehen neben dem Eingang, gut sichtbar von draußen. Im Schaufenster hängen Rabattschilder: 30 Prozent auf alle Elektroartikel. Eine Kundin gibt einen Brief auf, plaudert mit Astrid Krüger. Schnell kommt sie auf die Schicksalsfrage: wie es denn nach dem Ausverkauf weiter gehe mit ihr.

Eine Antwort kann die 52-jährige Ladeninhaberin nicht geben. Ihre Lebensgrundlage droht wegzubrechen, von einem Tag auf den anderen. Die Quelle-Insolvenz betrifft auch alle Shops, und damit steht auch Astrid Krüger vor dem Nichts. Von dem Postgeschäft und den Zeitschriften kann sie mitten im Wedding jedenfalls nicht leben, sagt sie. Die kleine Frau mit den braunen kurzen Haaren führt ihre Postkundin – sie trägt einen Quelle-Wintermantel – zu den noch gut gefüllten Regalen. Draußen stehen die Menschen mit Regenschirmen vor dem Schaufenster und begutachten die Angebote. Viele Menschen, die hier einkaufen, sind auf billige Preise angewiesen. Der Italiener neben Müllers Laden weiß das auch und hat sich ganz ähnliche gelbe Rabattschilder ins Fenster geklebt: 30 Prozent auf alle Speisen.

Noch ist das Geschäft voll mit Quelle- Ware. Kaffeemaschinen, Wecker, Puppen, Geschirrhandtücher. Nicht mehr alles ist zu haben, einiges ist reserviert oder bezahlt, zum Beispiel der große Kühlschrank, den der Kunde erst im Dezember abholen will. Kein Problem, sagte Krüger damals vor ein paar Wochen. Dann habe sie ja noch ein Ausstellungsstück im Laden, für die nächsten Kunden, dachte sie sich. Heute weiß sie es besser. Bald wird der Quelle-Kühlschrank allein zwischen Zeitschriften und Postkarten stehen. Ob sie dann noch die Miete zahlen kann, weiß sie nicht.

Einen Tag nach dem Ausverkauf im Internet fiel am Montag der Startschuss für die 1200 Quelle-Shops und die Technik- Center. Das Versandhaus hofft, zum letzten Mal das Weihnachtsgeschäft mitnehmen zu können. Man will liefern, solange der Vorrat reicht. Nicht alle Läden sind noch so gut bestückt wie der von Astrid Krüger. Gerade die mit 30 Prozent reduzierten Technikartikel sind der Kundenmagnet. Shops, die nichts mehr im Lager haben, sind schon geschlossen. Der Ertrag aus dem Ausverkauf soll die Konkursmasse vergrößern und mehr Geld in die Taschen der Gläubiger bringen.

Dienstag vergangener Woche sollte für Astrid Krüger eigentlich ein Tag zum Feiern werden. Es war ihr Jubiläum: auf den Tag genau zehn Jahre Quelle-Shop. Nach Sekt und schönen Worten war ihr dann doch nicht zu Mute, das Versandhaus verkündete die Insolvenz. Und am Samstag folgte die größte Hiobsbotschaft: Alle 1200 Shops werden dichtgemacht. Sie kriegt noch immer eine Gänsehaut, wenn sie von dem Tag erzählt, und ihre Augen haben kurz einen feuchten Schimmer. Natürlich ist sie immer noch erschüttert, aber sie schaut sich um, nach neuen Partnern, nach Zukunft. Sie will auf Neckermann und Otto umstellen. „Die Miete für diesen Monat ist zumindest sicher“, sagt sie. Zehn Prozent bekam sie bei Quelle für jeden Verkauf.

Mindestens 3000 Kunden hat Astrid Krüger in ihrem Karteikasten, 200 davon sind Stammkäufer. Eine von ihnen ist Ursula Rüdiger, schon am ersten Tag vor zehn Jahren kam sie zum Stöbern. In ihrem Haushalt steht viel von ihrer Quelle. Zum Ausverkauf hat sie einen geschmückten Plastikweihnachtsbaum mit Lichterkette erstanden. Jetzt muss sie sich noch zwischen zwei Weckern entscheiden und lässt sich beraten. Das geht hier noch. Bald muss die 80-Jährige ihre Einkaufsgewohnheiten umstellen.

Der Novemberregen draußen ist noch schlimmer geworden. Zwei U-Bahnstationen weiter steht eines der Quelle- Technik-Center in einem grauen Geschäftshaus, mehrstöckig. Neben Bäcker und Telefonanbieter strömen Leute in den Laden am Leopoldplatz. Viel gibt’s ja nicht mehr, sagt eine Frau zu ihrem Mann, sie stehen in der Elektroabteilung. Leere Flächen, beleuchtet von Neonröhren. Die obere Abteilung ist schon abgesperrt. Der große Renner sind jetzt die Textilien, mehrere Reihen Kleiderständer stehen in der Mitte. Bis zu 80 Prozent Rabatt, steht auf einem handgemalten Schild an der Eingangstür. Und bitte die andere Tür nehmen, diese hier sei kaputt. Ein Kunde streicht über die Waschmaschine, die er für seinen Sohn abholt. Der Rabatt kam ihm gerade recht. Doch auch ohne Vergünstigungen war der Berliner treuer Kunde. Seit 20 Jahren kauft er bei dem Versandhaus. Für die Angestellten hat er Mitleid – die Schuld trägt in seinen Augen das Management. Die Waschmaschine steht inzwischen auf einer Sackkarre. „Und nun wohin damit?“, fragt Carsten Volkmann. Der 45-jährige Geschäftsführer fährt das Gerät eigenhändig vor den Laden. Kundenservice bis zum Schluss.

Die Technik-Center werden als erstes geschlossen. Volkmann und seine Kollegen haben mittlerweile die Kündigung bekommen. Bis zum 31. Dezember laufen ihre Verträge noch. „Wir hoffen, dass wir nicht vorher freigestellt werden“, sagt der wuchtige Chef. Seit sechs Wochen gibt es hier schon Rabatte, doch jetzt hat sich der Andrang verzehnfacht. An der Kasse nimmt die Schlange kaum ab, die Kunden schauen in versteinerte Verkäufergesichter. Untereinander sei die Stimmung noch in Ordnung, hört man von der Belegschaft. Einige der Angestellten sind seit Jahrzehnten beim Konzern, jetzt müssen sie Bewerbungen schreiben.

Eine Frau schaut sich bei den elektrischen Zahnbürsten um. Sie war noch nie Quelle-Kundin, aber die Niedrigpreise locken sie. Ganz wohl ist ihr bei der Aussicht auf ein Schnäppchen trotzdem nicht. „Ich komme mir vor wie ein Geier, der über einem bald Toten kreist.“ 

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