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Reaktionen auf das Veto: "Cameron schneidet die Leinen durch"

Pro-europäische Stimmen und Euroskeptiker streiten in England über das Veto des Premiers. Nervosität gibt es auf beiden Seiten.

London – Euroskeptische Tory-Parlamentarier stellten sich gestern begeistert hinter ihren Parteichef David Cameron. An der pro-europäischen Parteibasis der liberaldemokratischen Koalitionspartner begann es zu rumoren, von einem „schwarzen Tag“ für Großbritannien war die Rede. Der Rest der Briten spekulierte nervös, wie es nach dem ersten britischen Veto der EU-Geschichte weitergeht.

Alle sind sich über den ungeheuren psychologischen Effekt in Europa und Großbritannien einig, viele sehen eine weitere Distanzierung Großbritanniens von der EU voraus. „Die qualvolle Beziehung dieses Landes mit der europäischen Union ist auf einen neuen Kurs gesetzt worden“, urteilte die „Times“. Cameron habe einen Schlussstrich unter 30 Jahre „widerwillig erduldeter europäischer Ratschenpolitik mit immer mehr Integration“ gezogen, frohlockte der Tory-Hinterbänkler Robert Halfon. Der „Guardian“ titelte angstvoll: „Cameron schneidet die Leinen durch.“ Während sich Premier Cameron am Freitagabend auf seinem Landsitz von seinen Parteifreunden feiern ließ, kam Vizepremier Nick Clegg durch seine Parteibasis unter Beschuss. Clegg, Großbritanniens feurigster Pro-Europäer, versuchte hinter den Kulissen vor dem Gipfel, die Konfrontation um die Vertragsänderung und „Goßbritanniens maßvolle Forderungen“ zu entschärfen, scheiterte laut dem „Guardian“ aber an der Gereiztheit von Frankreichs Präsident Sarkozy gegenüber Großbritanniens euroskeptischen Positionen. Laut „Times“ war die britische Delegation überrascht, wie schnell Kanzlerin Angela Merkel ihren Versuch aufgab, die neue Stabilitätsunion im Rahmen der bestehenden EU-Verträge durchzusetzen. Großbritannien bleibe ein „vollwertiges und einflussreiches Mitglied“ der EU, betonte Cameron. Schatzkanzler George Osborne sagte: „Wir werden weiterhin am Verhandlungstisch sitzen.“ Doch die „Financial Times“ kritisierte die „Politik des leeren Stuhls“. Cameron habe für sein Veto „nichts zurückerhalten“.

„Diejenigen, die Großbritanien nun als isoliert bezeichnen, sind die gleichen, die einst die Mitgliedschaft im Euro forderten“, merkte Schatzkanzler Osborne in der BBC zu der Debatte an. Tatsächlich ist ausschlaggebend, wie der Fortgang des europäischen Projekts und die Überlebenschancen des Euro bewertet werden. Harvard-Historiker Niall Fergusson bezeichnet den neuen „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ in der „Times“ als einen europäischen „Selbstmordpakt“.

Während alle Großbritannien einvernehmlich als kleines Paddelboot auf hoher See beschreiben, sind die Meinungen über das Luxus-Kreuzfahrtschiff Europa geteilt, das nun einen anderen Kurs nimmt. Viele sehen es als Titanic, wie „Sun“-Kolumnist Trevor Kavanagh: „Die Euro-Mobber Frankreich und Deutschland haben uns einen Gefallen getan, als sie uns auf hoher See aussetzten. Wir können nun in unserem eigenen Kanu paddeln, während die EU-Titanic in den Untergang segelt.“ Matthias Thibaut

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