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RECHTSSTREIT: Wenn dem Sachverständigen der Sachverstand fehlt Verkehrter Verkehrswert – wer zahlt die Differenz?

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Alles sah nach einer guten Anlagemöglichkeit aus. Ein solides Einfamilienhaus im Berliner Umland, in der Zwangsversteigerung günstig zu erwerben – die Berliner Eheleute Anna und Peter Schultze (Namen geändert) sahen darin die perfekte Gelegenheit, Geld anzulegen und das Haus nach geringfügigen Schönheitsreparaturen zu einer ordentlichen Rendite zu vermieten.

Tatsächlich erhielten sie in der Zwangsversteigerung den Zuschlag. Doch als sie erstmals das Haus betraten, traf sie fast der Schlag, wie sich Anna Schultze erinnert. Denn das vermeintlich solide, gut unterhaltene Massivhaus entpuppte sich als Sommerhaus in Holzständerbauweise, das sich teilweise noch im Rohbauzustand befand. Die Schultzes beauftragten einen eigenen Sachverständigen mit einem zweiten Gutachten – und der ermittelte einen Verkehrswert, der um 40 Prozent unter dem Betrag des vom Gericht beauftragten Sachverständigen lag. Hätte dieser Betrag im ursprünglichen Gutachten gestanden, so hätten die Schultzes natürlich viel weniger geboten. Die Konsequenz: Sie verlangen vom gerichtlichen Sachverständigen Ersatz für die ihrer Ansicht nach zu viel bezahlte Summe.

Ob sie damit Erfolg haben werden, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Roland R. Vogel jedenfalls, dem Präsidenten des Bundesverbands öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger (BVS), ist noch kein Fall bekannt, in dem ein Sachverständiger wegen eines fehlerhaften Gutachtens im Zwangsversteigerungsverfahren zur Kasse gebeten wurde.

Dabei besteht seit 2002 die gesetzliche Grundlage dafür. Damals wurde in das Bürgerliche Gesetzbuch der Paragraf 839a eingeführt, wonach ein vom Gericht ernannter Sachverständiger verpflichtet ist, Verfahrensbeteiligten den Schaden zu ersetzen, wenn er „vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten“ erstellt hat. 2006 entschied der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil, dass auch der Erwerber im Zwangsversteigerungsverfahren als Verfahrensbeteiligter gilt und somit Schadenersatz geltend machen kann (s. Kasten).

Dennoch bezeichnet Vogel den Paragrafen 839 a als „Hürde, die kaum zu überspringen ist“. Auch Ludger Kaup, Vorsitzender des Bundesfachreferates der Sachverständigen im Immobilienverband Deutschland (IVD), sieht große Schwierigkeiten, einem Sachverständigen ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln nachzuweisen. Das nämlich, so Kaup, würde bedeuten, dass der Gutachter die Immobilie nicht betreten habe, ohne dies im Gutachten zu erwähnen, oder dass er sie nicht in Augenschein genommen habe.

Dazu muss man wissen, dass auch ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger nicht in jedem Fall in die zur Zwangsversteigerung vorgesehene Wohnung kommt. „Der Schuldner hat das Hausrecht“, gibt Roland R. Vogel zu bedenken. „Gegen seinen Willen kann der Gutachter das Haus nicht betreten.“ Darüber hinaus sei es nicht Aufgabe des Sachverständigen, eine detaillierte Untersuchung des baulichen Zustands vorzunehmen. „Der Sachverständige“, so formuliert es Vogel, „guckt nicht hinter Mauern.“ Wichtig sei allerdings, dass er sich in seinem Gutachten entsprechend vorsichtig ausdrücke. Das bedeutet im Klartext: Wenn ein Sachverständiger schreibt, „vermutlich“ sei die Heizung intakt, kann ihm der Erwerber später nicht grobe Fahrlässigkeit vorwerfen, wenn die Heizung doch nicht funktioniert.

BVS-Präsident Vogel empfiehlt deshalb potenziellen Erwerbern, das Wertgutachten lediglich „als bessere Art der Information“ zu verstehen. „Als Bietinteressent“, sagt Vogel, „muss man sich selbst ein Bild machen und sich die Immobilie anschauen.“ Wenn es nicht möglich sei, das Haus oder die Wohnung zu betreten, so sei bei der Höhe des Gebots größte Vorsicht angebracht. „In der Regel“, ergänzt IVD-Vertreter Kaup, „wissen die Erwerber, dass sie in der Zwangsversteigerung ein Risiko eingehen.“

Dieser Argumentation widerspricht der auf Baurecht spezialisierte Potsdamer Rechtsanwalt Andreas-M. Teubner, der auch das Ehepaar Schultze vertritt. Ein Bieter müsse darauf vertrauen können, „dass das der Ersteigerung zugrunde liegende Gutachten korrekt und richtig erstellt wurde und den Zustand und Wert des Objektes korrekt wiedergibt“. Wenn das Gutachten objektiv falsche Informationen enthalte, die zu einem überhöhten Verkehrswert führten, so sei das ein Grund, Schadenersatz zu verlangen. Allerdings müsse der Ersteigerer diese Fehler detailliert nachweisen können.

Dass nicht alle vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten höchsten Qualitätsansprüchen genügen, lässt sogar BVS-Präsident Vogel durchblicken. Den erfahrenen Berliner Sachverständigen drängt es nach eigenen Worten nicht mehr danach, Gutachten in Zwangsversteigerungsverfahren abzugeben, „weil die Gerichte die nötige Sorgfalt nicht angemessen honorieren“. Für ein Honorar von weniger als 1000 Euro könne man kein Verkehrswertgutachten mit dem erforderlichen Aufwand erstellen. „Der Preisdruck führt dazu, dass sich vor allem Sachverständige mit wenig Erfahrung bei den Gerichten um Aufträge bewerben“, sagt Vogel.

Für den Bietinteressenten ist also eine gesunde Skepsis angesagt – übrigens auch, was den Zeitpunkt des Gutachtens betrifft. Manchmal vergehen nämlich Monate oder sogar Jahre bis zum Termin der Zwangsversteigerung. Beim Gutachten gelte aber das Stichtagsprinzip, erläutert BVS-Präsident Vogel – und wenn nach diesem Stichtag beispielsweise ein Wasserschaden auftrete, so sei dies gewiss nicht dem Sachverständigen anzulasten.

PROBLEM

Im konkreten Fall ging es um ein Mehrfamilienhaus in Köln, für das der Sachverständige den Verkehrswert mit 655 000 Euro angegeben hatte. In der Zwangsversteigerung ging die Immobilie für 555 000 Euro an den Meistbietenden. Dieser verklagte anschließend den Sachverständigen, da dieser grob fahrlässig übersehen habe, dass es auf dem Grundstück nur sechs (und nicht acht) Stellplätze gebe und zudem ein Teil des Grundstücks mit einem Nachbarhaus überbaut sei. Wären dem Sachverständigen die Fehler nicht unterlaufen, so argumentierte der Kläger, so hätte er das Objekt günstiger ersteigern können.

LÖSUNG

Der Bundesgerichtshof entschied 2006 zur Haftung des Wertgutachters in der Zwangsversteigerung unter dem Aktenzeichen III ZR 143/05, dass Ersteigerer im Zwangsversteigerungsverfahren grundsätzlich Schadenersatz verlangen können, wenn der Sachverständige grob fahrlässig oder vorsätzlich einen zu hohen Verkehrswert ermittelt hat. Der Ersteigerer einer Immobilie müsse darauf vertrauen können, dass bei der Ermittlung des Werts der Immobilie „sachgemäß und korrekt verfahren“ worden sei, urteilte das oberste Gericht. Es bleibe dem Erwerber deshalb „vom Ansatz her unbenommen, geltend zu machen, dass er bei korrekter Wertfestsetzung das Grundstück zu einem niedrigeren Preis hätte ersteigern können“. Den Differenzbetrag könne er als Schadenersatz beanspruchen.

Ob der Sachverständige im konkreten

Kölner Fall aber tatsächlich zahlen müsse,

entschied das Gericht nicht: Zuvor müsse der neue Eigentümer nachweisen, dass der Sachverständige tatsächlich grob fahrlässig gehandelt habe.ch

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