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Wirtschaft: Reform oder Lohndrückerei

Ärger im Handel: Verdi denkt wegen der Kündigung der Tarifverträge an Streiks.

Berlin - „Uns reicht es jetzt“, sagt Heribert Jöris, Tarifgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE. Seit den 90er Jahren verhandele man mit den Gewerkschaften über eine Reform der Tarifverträge im Einzelhandel – ohne Ergebnis. Daher hatte der Verband am Donnerstag angekündigt, in allen Regionen die Tarifverträge zu kündigen – sowohl die Manteltarifverträge, die zum Beispiel Lohnfortzahlung oder Arbeitszeiten regeln, als auch die Entgelttarifverträge. „Die Entgeltstruktur ist nicht mehr zeitgemäß“, rechtfertigt der HDE die geplante Kündigung. Sie regelt, für welche Tätigkeit welcher Lohn vorgesehen ist. „In den Verträgen finden sich Regelungen für Telefonistinnen mit drei Leitungen oder Fahrstuhlführer, aber keine Angaben zu Mitarbeitern die zum Beispiel Selbstbedienungskassen betreuen“, sagt Jöris. Zudem müssten die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen angeglichen werden. „Wir wollen die Verträge gemeinsam mit Verdi überarbeiten.“

Die Gewerkschaft aber wittert hinter der geplanten Kündigung den Versuch, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und Löhne zu drücken. In einer Projektgruppe habe man mit dem HDE Vorschläge zu einer neuen Eingruppierung erstellt. „In der Anwendung wurden sie dann in etlichen Betrieben genutzt, um Tätigkeiten minderwertiger zu beschreiben und so eine niedrigere Gehaltsstufe zu erreichen“, sagt Verdi-Sprecherin Christiane Scheller. Die Kündigung versteht man bei Verdi nicht. 2011 seien die Manteltarifverträge überarbeitet und ergänzt worden, sagt Scheller. Veraltete Berufsbilder wie das der Pelznäherin würden schlichtweg nicht angewandt. Der Verdi-Landesbezirk Baden-Württemberg erklärte, man erwarte eine hohe Bereitschaft der Beschäftigten im Einzelhandel, für die Absicherung ihrer Abkommen, für Arbeitszeit- und Zuschlagsregelungen und die Schutzvorschriften im Manteltarifvertrag zu kämpfen. Auch die Möglichkeit von Streiks deutete die Gewerkschaft an.

Verdi prangert seit Jahren die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Handel an und klagt etwa über Dumpinglöhne und eine Zunahme prekärer Jobs. „Heute haben wir nur noch 40 Prozent Vollzeitstellen im Handel“, sagt Scheller. Zudem sind derzeit nur knapp die Hälfte der rund drei Millionen Beschäftigten an einen Tarifvertrag gebunden – zu wenig für einen Branchenmindestlohn. Mit einer neuen Entgeltstruktur, argumentiert der HDE, könne man mehr Firmen von der Tarifbindung überzeugen. Verdi spricht dagegen von einer „arbeitgeberfreundlichen Umgestaltung der Tarifverträge“. Jahel Mielke

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