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Wirtschaft: Regierung sucht 140000 Lehrstellen

Gewerkschaften fordern Zwangsabgaben, die Unternehmer weniger Kosten – und die Politik will Klinken putzen

Berlin (avi). Mit einer Initiative für mehr Ausbildungsplätze will die Bundesregierung gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften einen drohenden Ausbildungsnotstand abwenden. Mit bis zu 140000 fehlenden Lehrstellen rechnet der Deutsche Gewerkschaftsbund im Herbst, wie DGBChef Michael Sommer am Dienstag in Berlin zum Auftakt der Ausbildungsoffensive sagte. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt stellte einen Rückgang der betrieblichen Stellen im Vergleich zum März 2002 um 58000 fest. Mit der Initiative für mehr Lehrstellen reagiere die Bundesregierung frühzeitig auf die alarmierende Entwicklung, sagte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn.

Die Regierung will die Ausbildungsbedingungen flexibler gestalten. So setzt sie ab Sommer 2003 die so genannte „Ausbildereignungs-Verordnung“ für fünf Jahre außer Kraft. Damit sollen mehr Betriebe in die Lage versetzt werden, Lehrstellen anzubieten, darunter auch Existenzgründer. Zur Vermeidung zusätzlicher Kosten für Ausbildungsverhältnisse schreibt die Regierung die Geringverdienergrenze auf 325 Euro fest.

„Mit der Ausbildungsoffensive 2003 wollen und werden wir der Arbeitslosigkeit den Nachwuchs entziehen“, sagte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. In den nächsten Monaten sollten alle Beteiligten bei Unternehmen „Klinken putzen“ um für alle Ausbildungssuchenden einen Platz zu finden. Im Jahr 2003 rechnet die Regierung mit über 600000 neuen Auszubildenden. Insgesamt sind jedes Jahr rund 1,7 Millionen Menschen in Berufsausbildung.

Die Runde aus Politik und Verbänden zeigte sich einig über das Ziel, „Ausbildung für Alle“ – umstritten war vor allem die Abgabe für nicht ausbildende Betriebe. Sollte sich die Ausbildungssituation nicht bald verbessern, werde der DGB die Abgabe einfordern, sagte Sommer. Er erinnerte an die Regierungserklärung, in der Bundeskanzler Gerhard Schröder sich die Option offen gehalten habe. Clement betonte dagegen, die Abgabe sei derzeit „kein Thema“.

„Die Ausbildungsabgabe würde nur dazu führen, dass sich finanzstarke Unternehmen von der Ausbildung freikaufen“, sagte Arbeitgeberpräsident Hundt. Aus Sicht der Arbeitgeber ist die Konjunkturkrise schuld am Lehrstellenschwund. Voraussetzung für mehr Lehrstellen sei ein Kurswechsel in der Wirtschafts- und Tarifpolitik hin zu mehr Wachstum. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht Ausbildungspotential vor allem bei Betrieben, die noch nicht ausbilden. Mit rund 17000 Euro pro Lehrjahr seien Ausbildungsplätze allerdings ein erheblicher Kostenfaktor in der angespannten Wirtschaftslage.

Die Regierung hat bereits zuvor angekündigt, für Jugendliche mit Defiziten in der Schulbildung ab 2003 neue, weniger anspruchsvolle Ausbildungswege und „Qualifizierungsbausteine“ anzubieten. Von dem Programm „Kapital für Arbeit“ mit zinsgünstigen Krediten sollen auch Auszubildende profitieren: Unternehmen können 100000 Euro an zinsgünstigen Krediten für jeden neuen Ausbildungsplatz erhalten. Die Regierung lässt sich das Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit in diesem Jahr 1,1 Milliarden Euro kosten. Über eine Milliarde Euro fließen zudem in Ausbildungsbeihilfen und Kurse zur Berufsvorbereitung.

BDI-Chef Michael Rogowski warnte die deutschen Unternehmen: Verschlechtere sich die Ausbildungssituation weiter, führe dies in Zukunft zu einem Fachkräftemangel. Der droht Rogowski zufolge „zu einer weiteren Wachstumsbremse zu werden“.

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