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Wirtschaft: Regierung traut den eigenen Zahlen nicht

Offiziell bleibt Eichel bei der Verschuldungsgrenze – die Opposition hält den Haushalt schon jetzt für überholt

Berlin (asi). Die mit Spannung erwartete Haushaltsdebatte des Bundestages begann am Dienstag erst einmal mit einem Eklat. Kurz nach zwölf Uhr beantragte die Opposition eine Unterbrechung der Sitzung. Der Grund: Hans Eichels Stuhl auf der Regierungsbank war leer. Als der Bundesfinanzminister wenige Minuten später das Parlament betrat, musste er gestehen, von einer Polizeistreife kurz vor dem Reichstag gestoppt worden zu sein. Ein Regierungsbesuch hatte zu der kurzzeitigen Straßensperrung geführt. „Ich weiß auch nicht, wer das war“, sagte Eichel. Was sowohl der Finanzminister als auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement am Dienstag hingegen wussten, war, dass sie offiziell an ihren Prognosen für das deutsche Wirtschaftswachstum (ein Prozent) und die Haushaltsverschuldung in diesem Jahr (2,75 Prozent) festhalten.

Intern laufen allerdings die Planungen in eine ganz andere Richtung. Schon einen Tag nach der vorgesehenen Verabschiedung des Bundeshaushaltes am Donnerstag rechnen Regierungskreise am Freitag mit einer gemeinsamen Erklärung der europäischen Regierungschefs zur Wirtschafts und Finanzlage und den Auswirkungen der Irak-Krise. Darin soll die Kommission beauftragt werden, eine flexible Auslegung des Stabilitätspaktes vorzugeben. Konkret bedeutet das, dass auch Deutschland dann nicht mehr mit einer Strafe der EU rechnen muss, wenn die Neuverschuldung oberhalb der Drei-Prozent-Grenze liegt und die Konsolidierung auf einen Zeitpunkt nach 2006 verschoben werden muss. In Regierungskreisen wird davon ausgegangen, dass die EU-Finanzminister bei ihrem informellen Ecofin-Treffen am 5. und 6. April eine entsprechende Vereinbarung verabschieden.

Die Bundesregierung geht schon jetzt nicht mehr davon aus, dass ihr Sparkurs eingehalten werden kann. Wie es am Dienstag hieß, werde die Neuverschuldung 2003 wohl über dem Wert von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Die Ursachen: Die Wachstumsschwäche der Wirtschaft hat dazu geführt, dass auch die Steuereinnahmen im Februar „nur auf Januar-Niveau“ und damit unter den Erwartungen liegen. Schon im Januar sanken die Einnahmen der öffentlichen Kassen um 9,9 Prozent gegenüber 2002 auf rund 30 Milliarden Euro.

Entgegen den Planungen rechnet die Regierung auch mit Mehrausgaben der Bundesanstalt für Arbeit (BA) „auf Vorjahresniveau“. 2002 musste der Bund rund 5,6 Milliarden Euro mehr an die BA überweisen als geplant. In diesem Jahr wurde der Zuschuss an die BA ganz gestrichen, weil mit Einsparungen durch die Umsetzung der Hartz-Gesetze gerechnet wird. Schon jetzt zeichne sich jedoch ab, dass die Hartz-Gesetze geringere Auswirkungen haben werden, hieß es. Die BA selbst hatte vergangene Woche ein „steigendes Haushaltsrisiko“ bestätigt.

Steuermindereinnahmen auf der einen und Mehrausgaben auf der anderen Seite werden dann unweigerlich zu einem Nachtragshaushalt des Bundes mit einer höheren Neuverschuldung führen. „Wir müssen damit rechnen“, dass der Bund in diesem Jahr mehr als 18,9 Milliarden Euro Kredite aufnehmen wird, heißt es in Regierungskreisen.

In der Haushaltsdebatte kam es am Dienstag zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition. Finanzminister Eichel verteidigte den Etat mit Ausgaben von 248,2 Milliarden Euro, räumte jedoch „erhebliche Risiken“ ein. Wenn die optimistischen Prognosen der Regierung zum Arbeitsmarkt und zur Konjunktur nicht einträfen, gerate das Zahlenwerk in Gefahr, sagte er. Mehr Schulden seien jedoch nichts weiter als die Anwendung der automatischen Stabilisatoren innerhalb des Maastricht-Vertrages. Die entscheidende Frage sei, ob die Bundesregierung sich dem Geist und Buchstaben des Paktes verpflichtet fühle: „Die Bundesregierung tut das", sagte Eichel.

Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel, warnte die Regierung davor, bereits jetzt den Konsolidierungskurs zu verlassen. „Erst nach einem Krieg“, sagte sie dem Tagesspiegel, könnten dessen wirtschaftliche Folgen für Europa und Deutschland eingeschätzt werden. „Jetzt heißt es Ruhe bewahren und die Reformen umsetzen“, sagte Scheel.

Die Opposition hält den Haushaltsentwurf 2003 bereits jetzt für überholt. Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz (CDU) bezeichnete die Etatvorlage als „Karikatur eines Bundeshaushaltes“. Merz kritisierte, die Regierung gehe von unrealistischen Annahmen im Haushalt aus. Auch sei das von der Regierung geplante Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen in den Etat eingeplant. Dieses Gesetz werde aber nicht zustande kommen, fügte Merz mit Blick auf die Unions-Mehrheit im Bundesrat und die anstehende Vermittlung hinzu.

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