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Regulierungsgesetz: Partystimmung an der Wall Street

Das Regulierungsgesetz trifft die US-Finanzbranche weniger hart als erwartet. Es wird das Wachstum der Wall Street nicht ausbremsen.

New York - Ausgelassene Stimmung herrscht derzeit in der Stone Street, der Partymeile der Broker und Banker, einen Steinwurf von der Wall Street entfernt. In dem mit groben Steine gepflasterten und von kleinen Häuschen gesäumten Gässchen im Schatten der Hochhäuser sitzt das Fußvolk der US-Finanzgemeinde an langen Biertischen und stößt in der schwülwarmen Sommerabendluft auf die nächsten Bonusrunden an. Denn seit vergangenem Freitag ist klar: Auch das härteste Regulierungsgesetz seit den 1930er Jahren wird das Wachstum der Wall Street nicht ausbremsen. „Es hätte viel schlimmer kommen können, wir sind echt happy“, sagt ein Händler der Investmentbank Morgan Stanley. Und auch in der Chefetage ist man erleichtert. „Wir werden uns anpassen. Das haben wir bisher immer erfolgreich geschafft“, sagt ein Vorstand einer großen Wall-StreetAdresse dem „Handelsblatt“.

Nach anderthalb Jahren harten Auseinandersetzungen zwischen Lobbyisten und Politikern hatte der Vermittlungsausschuss des US-Parlaments am Freitag jenes Regulierungsgesetz beschlossen, das eine Wiederholung der zurückliegenden Finanzkrise unmöglich machen soll. Das 2000 Seiten starke, mit Kompromissen gesättigte Gesetz schränkt die Möglichkeiten der Banken zur riskanten Spekulation auf eigene Rechnung ein und zwingt sie, Teile des Derivatehandels abzuspalten. Das ganze Paket kann nach Schätzung der Analysten von KBW etwa die Investmentbank Morgan Stanley bis zu 28 Prozent der bislang für 2011 erwarteten Gewinne kosten.

Aber es hätte in der Tat schlimmer kommen können. In den letzten Verhandlungsstunden konnte die Bankenlobby noch einige Änderungen ins Gesetz schmuggeln. Ohne diese hätte nach KBW-Berechnungen Morgan Stanley eine Gewinneinbuße von bis zu 36 Prozent gedroht. Das Gesetz muss nun in dieser Woche noch von beiden Kammern des Parlaments verabschiedet werden. Am 4. Juli will Präsident Barack Obama es dann mit seiner Unterschrift in Kraft setzen.

Aber noch bevor die präsidiale Tinte trocken ist, arbeiten die US-Großbanken daran, die sich abzeichnenden Einnahmeausfälle auszugleichen. Erstes Opfer sind die Verbraucher. So schafft Wells Fargo, das viertgrößte Institut der USA, zum 1. Juli das kostenlose Girokonto ab. Und auch der Marktführer, die Bank of America, „experimentiert mit neuen Gebührenstrukturen“, wie es offiziell heißt. Kostenlos wird das Girokonto demnächst wohl nur noch sein, wenn der Kunde viel Anlagevermögen bei der Bank verwalten lässt. Bei einer Reihe anderer Bankprodukte dürften die Gebühren in Zukunft auch bei anderen Instituten in ähnlicher Weise steigen. „Es wird demnächst in den USA für Bankkunden sehr teuer sein, arm zu sein“, kommentierte Bankenanalystin Meredith Withney die Entwicklung.

Einer Reihe von Eingriffen in das Geschäft der Wall Street hat die Bankenlobby in letzter Minute die Spitze nehmen können. So schaffte es zwar die „Volcker-Regel“ ins Gesetz, nach der den Banken das Spekulieren auf eigene Rechnung verboten wird. Offen ist allerdings, wie die Aufsichtsbehörden in der Zukunft zwischen verbotenem Eigenhandel und erlaubten Geschäft im Auftrag von Kunden unterscheiden werden. Daher sind die Auswirkungen des Verbots schwer zu kalkulieren. Die von Ex-Notenbankchef Paul Volcker vorgeschlagene Regel sah ursprünglich auch vor, dass die Institute ihre Beteiligung an Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften verkaufen müssen. Die Endfassung erlaubt es aber nun den Banken, bis zu drei Prozent ihres Kernkapitals in solche Firmen zu investieren. Das bedeutet zwar, dass die Banken ihr Engagement bei diesen Gesellschaften reduzieren müssen. Aber sie behalten immer noch einen Fuß in der Tür. „Das ist für die Banken Gold wert, denn sie bekommen so mit, was bei den Fonds passiert, und können lukrative Aufträge für das Investmentbanking an Land ziehen“, sagte Chris Whalen, Geschäftsführer von Institutional Risk Analytics dem „Handelsblatt“.

Auch bei der Derivateregulierung konnten die Banken die Folgen des Gesetzes für sich abmildern. Sah es lange so aus, als müssten sie ihren gesamten Derivatehandel abspalten, so dürfen sie jetzt Derivate auf die Zinsentwicklung, Devisen, Gold sowie Silber und bestimmte Kreditabsicherungsderivate (CDS) handeln.

Einige Beobachter befürchten nun, das Gesetz könnte bei seiner Anwendung durch die Aufseher weiter verwässert werden. Die Chefin der Einlagensicherung FDIC, Sheila Bair, rief die Behörden daher auf, sich nicht auf Einflüsterung der Bankenlobby einzulassen. „Wir müssen Kurs halten“, sagte sie. Man dürfe nicht vergessen, was im Krisenherbst 2008 passiert sei. Rolf Benders (HB)

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