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Wirtschaft: Reisemarkt: Das Traumschiff nimmt Kurs auf Deutschland

Der europäische Reisemarkt wird für die großen Kreuzfahrtunternehmen immer interessanter. Bei der anhaltenden Wirtschaftsschwäche in den USA soll die riesige Flotte neuer Schiffe nach dem Willen ihrer Betreiber vor allem ein Ziel ansteuern: Deutschland.

Der europäische Reisemarkt wird für die großen Kreuzfahrtunternehmen immer interessanter. Bei der anhaltenden Wirtschaftsschwäche in den USA soll die riesige Flotte neuer Schiffe nach dem Willen ihrer Betreiber vor allem ein Ziel ansteuern: Deutschland. Zwar bietet das Land den zweitgrößten Markt für Reisen weltweit. Doch haben die Veranstalter alle Mühe, die antiquierten Vorstellungen der Deutschen zum Thema Schiffsreisen zu überwinden. Eine Kreuzfahrt, davon will man die Kunden überzeugen, heißt nicht, dass es wie im Kloster zugehen muss. Es geht auch ohne die steifen Sitzordnungen und die unumgänglichen Gespräche mit älteren Ehepaaren oder reisenden Senioren.

Es wird nicht einfach werden, die Deutschen an Bord zu locken. Reisende wie den 29-jährigen Investment-Manager Stefan Adis aus Frankfurt würden die Unternehmen besonders gern überzeugen. Doch dem gefällt die Idee nicht sonderlich gut: "Eine Ozeanfahrt ist etwas für Ältere, oder ?" meint Adis. "Wenn ich wegfahre, möchte ich nicht auf einem Schiff eingesperrt sein und mir von jemandem meinen Tagesablauf diktieren lassen." Wenn nun auch noch die deutsche Wirtschaft langsamer wächst, werden die Touristen zudem eher auf alt bewährte Reiseziele setzen, meinen einige Kenner der Branche. Und die großen Deutschen Reiseveranstalter wie die Preussag AG beherrschen den Markt für Pauschalreisen nahezu vollständig und riegeln ihn gegen die Konkurrenz wirksam ab.

Die weltweit drittgrößte Kreuzfahrtgesellschaft P & O Princess Cruises lässt sich von solchen Vorgaben nicht entmutigen. Das Unternehmen hat für die deutschen Urlauber eine 1,5 Milliarden Mark teure Marketingkampagne gestartet und wirbt in aggressiven Anzeigen mit neuen Schiffen und einer neu geschaffenen Marke. "In Deutschland wird bald der Wettbewerb toben und wir wollen als Erste dabei sein," sagt Vorstand Peter Ratcliffe. Mit den speziell auf die deutsche Kundschaft zugeschnittenen Angeboten zielt man vor allem auf den Massenmarkt. Die Ferien auf dem offenen Meer sollen genauso verlockend und erschwinglich werden wie die Flugreise an die Costa del Sol. Auch die Konkurrenz lässt nicht auf sich warten. Bereits in wenigen Wochen will die US-Gesellschaft Carnival über ihre italienische Tochter Costa Crociere eine Marketingoffensive in Deutschland beginnen. "Wir haben große Pläne dort," sagt Pier Luigi Foschi, Vorstandschef bei Costa. "Deutschland ist der am wenigsten durchdrungene Markt und bietet riesige Wachstumschancen." Die Deutschen können über große Teile ihres Einkommens frei verfügen und schätzen den gut entwickelten Markt für Pauschalreisen. Doch obwohl sie jährlich fast sechs Wochen Urlaub machen, sind Kreuzfahrten weniger gefragt.

Nur 400 000 Deutsche buchten im letzten Jahr den Urlaub auf dem Wasser - verglichen mit sechs Millionen US-Amerikanern. Dabei ist die Bevölkerung der USA nur dreimal so groß wie die deutsche. Die Kreuzfahrtunternehmen wollen mit ihren Offensiven in Deutschland und Europa auch die Auswirkungen der US-amerikanischen Wirtschaftskrise minimieren. Immer mehr Schiffe schicken sie in Richtung Europa.

Laut James Winchester, Analyst bei Lazard Frère & Co, ging es früher nur um die Frage: "Soll man darauf warten, dass sich eine Nachfrage entwickelt oder bringt man die Schiffe vor Ort, um gleich mit dem Produkt zu werben?" Heute, so Winchester, wächst dieser Sektor in Deutschland real und kann gewaltige Kapazitäten aufnehmen. Einige Veranstalter gehen auf Nummer sicher und sind in immer mehr Regionen tätig. Die Aktivitäten werden gezielt gestreut. "Für uns ist es keine gute Idee, sich nur auf einen Markt in Europa zu konzentrieren," sagt Gary Bruton, Vizepräsident von Royal Caribbean Cruises. Der weltweit zweitgrößte Anbieter von Kreuzfahrten war bis vor zwei Jahren mit nur zwei Schiffen in Europa vertreten. Heute sind es fünf und im nächsten Jahr sollen zwei weitere hinzukommen.

Den aggressivsten Kurs aber steuert P & O Princess. Der Marktführer aus Großbritannien zieht derzeit zwei seiner Schiffe aus den USA ab, um in Deutschland eine neue Route zu etablieren. Zwei weitere Schiffe, die sich noch im Bau befinden, sollen die 1999 in Deutschland erworbene Gesellschaft Aida Cruises verstärken. Mit der Einführung von zwei neuen Marken hat es der Anbieter auf zwei Zielgruppen abgesehen: Zum einen den älteren wohlhabenden Reisenden, der sich für exotische Gegenden interessiert - und den jungen Partygänger, der auf dem Schiff seinen Spaß haben will.

Die Gesellschaft glaubt, mit dem Kauf der Aida gleichzeitig wertvolle Einblicke in die Urlaubswünsche der Deutschen erworben zu haben. Aida hat schon heute den Ruf, erschwingliche und jugendorientierte Schiffsreisen anzubieten. In diesem Jahr können Passagiere eine einwöchige Reise auf dem Mittelmehr mit mehreren Zwischenstopps für 2600 Mark buchen. Das bislang einzige Schiff wird auch "Clubship" genannt und hat wenig mit den traditionellen Kreuzfahrtschiffen gemein, die auf den US-Routen eingesetzt werden. Der Verzicht auf feste Speiseräume und strenge Tischordnungen sorgt für eine offene, ungezwungene Atmosphäre. Deutsche Passagiere wollen ein freieres Ambiente als Amerikaner oder Briten, meinen Experten der Kreuzfahrtindustrie. "Selbst geringe Unterschiede können an Bord viel ausmachen", sagt Gwyn Hughes, bei P & O Princess für die Unternehmensentwicklung zuständig. "Die soziale Struktur auf dem Schiff ist der eigentliche Schlüssel zum deutschen Passagier."

Paolo Prada

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