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Rekord in Sicht: Arbeitslosigkeit könnte unter drei Millionen fallen

Die Arbeitslosigkeit geht im Juni weiter zurück – womöglich sinkt sie bald unter die Marke von drei Millionen

Berlin/Nürnberg - Schon in wenigen Monaten könnte die Arbeitslosenzahl in Deutschland unter die Marke von drei Millionen sinken. „Die Chance ist da“, sagte Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), am Mittwoch in Nürnberg. Zuletzt war dies im Oktober und im November 2008 der Fall – also vor der dramatischen Verschärfung der Wirtschaftskrise.

Weise zeigte sich so optimistisch, weil er schon den vierten Monat in Folge bessere Zahlen vom Jobmarkt präsentieren konnte. 3,153 Millionen Menschen waren in der Bundesrepublik im Juni als arbeitslos registriert, das war eine Viertelmillion weniger als noch ein Jahr zuvor. Die Erwerbslosenquote sank leicht um 0,2 Punkte auf 7,5 Prozent. Bereinigt um den Einfluss der Jahreszeit nahm die Arbeitslosenzahl im Vergleich zum Mai um 21 000 ab. Lichtblicke gab es auch im Osten Deutschlands: Zwischen Elbe und Oder suchten erstmals in diesem Jahr weniger als eine Million eine Stelle.

Die Bundesagentur begründete den positiven Trend mit dem anhaltenden globalen Konjunkturaufschwung. „Die Nachfrage nach Mitarbeitern steigt“, erklärte Weise. „Die wesentlichen Indikatoren haben sich erneut verbessert.“ Nach einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts will jeder vierte Betrieb in der zweiten Jahreshälfte neue Mitarbeiter einstellen.

DIE KONJUNKTUR ZIEHT AN

Seit Jahresbeginn hatte sich vor allem die Industrie besser entwickelt als erwartet. Die Nachfrage nach Exportgütern aus den Branchen Auto, Metall und Chemie hat wieder deutlich zugelegt, dies spiegelt sich auf dem Arbeitsmarkt wider. Der Aufschwung wird nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) anhalten. Für dieses Jahr rechnen die Berliner Ökonomen mit einem Plus von 1,9 Prozent, 2011 dürften es 1,7 Prozent sein, schreiben sie in ihrer neuen Prognose vom Mittwoch. „Die Wirtschaft kommt langsam wieder in Schwung, die treibende Kraft ist wieder einmal die Auslandsnachfrage“, sagte DIW-Präsident Klaus Zimmermann. Im vergangenen Jahr musste die Wirtschaft noch einen historischen Rückgang von fünf Prozent verzeichnen. Auch andere Forscher rechnen mit einer weiteren Abnahme der Arbeitslosigkeit. „Vieles spricht dafür, dass sich der Abwärtstrend weiter fortsetzt“, sagte Simon Junker von der Commerzbank.

Zugleich nimmt die Erwerbstätigkeit erstmals seit einem Jahr wieder zu. Das Statistische Bundesamt meldete am Mittwoch, im Mai hätten 40,28 Millionen Menschen hierzulande einen Job gehabt, 67 000 mehr als ein Jahr zuvor.

Dass sich die Lage so gut entwickelt, hatte während der Krise kaum jemand geglaubt. „Die Arbeitslosenzahl wird im Winter 2010 über fünf Millionen steigen“, warnte der damalige Deutsche-Bank-Chefvolkswirt vor einem Jahr.

BA-Chef Weise mahnte gleichwohl zur Vorsicht. „Es gibt noch viele Faktoren, die die Lage unsicher machen“, sagte er. „Es ist nicht so, dass ein Aufschwung stattfindet, der die Wirtschaftskrise völlig ausradiert hat.“ So arbeiten derzeit noch immer 613 000 Beschäftigte kurz, bekommen also einen Teil ihres Lohnes und eine Zeit lang die Sozialversicherungsbeiträge von der Arbeitsagentur. Immer mehr Unternehmen, etwa der Lastwagenkonzern MAN, fahren allerdings die Kurzarbeit zurück. Mitten in der Rezession war die Zahl der Kurzarbeiter doppelt so hoch wie heute.

Doch die Unternehmen betreiben noch eine vorsichtige Personalpolitik. So verzeichnen Firmen, die Arbeitnehmer befristet verleihen, eine starke Nachfrage, 623 000 Menschen sind momentan als Zeitarbeiter beschäftigt. Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gab sich zurückhaltend. „Der Arbeitsmarkt zeigt sich stabil, aber er ist noch nicht dynamisch“, befand die CDU-Politikerin. Als erfreulich wertete sie, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen rückläufig sei.

Weise wies zudem auf den Strukturwandel in der Arbeitswelt hin. Mit dem Trend zur Dienstleistungsgesellschaft gingen weitere Arbeitsplätze in der Industrie verloren. Der Verlust werde zwar von der Expansion im Gesundheits- und Sozialbereich sowie der Zeitarbeit wettgemacht – die neuen Stellen seien aber oft nur Teilzeitjobs. Der Strukturwandel erfordere daher von den Betroffenen ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität.

Das Ausmaß der Unterbeschäftigung ist allerdings tatsächlich weitaus größer, als es die Zahlen zur Arbeitslosigkeit zunächst zeigen. Hinzugezählt werden müssen die Teilnehmer von Arbeitsmarktprogrammen, Frührentner oder die sogenannte stille Reserve – Menschen also, die ohne Job sind, aber gerne arbeiten würden. Unter dem Strich weist die BA für den Juni die Summe von 4,3 Millionen Menschen aus, für die es derzeit keine Arbeit gibt.

HAUPTSTADTREGION KOMMT VORAN

Auch in Berlin machte sich der Aufschwung bemerkbar. Knapp 229 000 Menschen waren im Juni in der Stadt ohne Job, 7600 weniger als vor einem Jahr. Die Zahl der offenen Stellen liege um ein Fünftel höher, sagte Margit Haupt-Koopmann, die die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg leitet. Ein Drittel des Zuwachses gehe auf das Konto von Zeitarbeitsfirmen, daneben suchten der Bau, der Handel und das verarbeitende Gewerbe Arbeitskräfte. Brandenburg verzeichnete dagegen erneut einen weitaus kräftigeren Rückgang der Arbeitslosigkeit. Gut 142 000 Menschen sind in dem Bundesland erwerbslos, 20 000 weniger als im Juni des Vorjahres.

Für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) steht das Jobwunder in Deutschland „auf tönernen Füßen“. In der Region Berlin-Brandenburg entstünden vornehmlich Minijobs, Leiharbeit oder andere Arten prekärer Beschäftigung, sagte Doro Zinke, die DGB-Vorsitzende in der Region. Die Löhne von rund 200 000 Menschen müssten mit Sozialhilfe aufgestockt werden, da die Unternehmen „Hungerlöhne“ zahlten.

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