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Wirtschaft: Rentenkürzungen sind ein Tabu

Verfassungsrechtler und Wissenschaftler warnen die kommende Bundesregierung vor zu tiefen Einschnitten

Berlin – Rentenexperten haben die kommende Bundesregierung davor gewarnt, allzu tiefe Einschnitten oder gar Kürzungen bei der Alterssicherung vorzunehmen. „Wenn das Rentensystem eine politische Legitimation behalten soll, darf man das Leistungsniveau nicht weiter zurückfahren, die Untergrenze ist bereits erreicht“, sagte Winfried Schmähl, Sozialpolitik-Professor an der Universität Bremen, dem Tagesspiegel am Sonntag. „Rentenkürzungen wären ein Eingriff ins Eigentum“, warnte Heinz Stapf-Finé, Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte vor kurzem zwar gesagt, „Rentenkürzungen wird es mit mir als Kanzler nicht geben“. Zugleich steht die gesetzliche Rentenversicherung aber vor großen Finanzproblemen. Wegen der schwachen Konjunktur muss der Bund seinen Zuschuss an die Rentenkasse vorziehen, damit auch im Herbst die Ruhegelder ausgezahlt werden können. Möglicherweise reicht aber auch das nicht. Zum Jahresende könnte ein zusätzliches Bundesdarlehen nötig werden, damit die Renten weiter überwiesen werden können. Grund für die Misere sind die schwache Konjunktur und stagnierende Löhne.

Bei den anstehenden Rentenreformen verweisen Experten auf den Eigentumsschutz im Grundgesetz. „Es wäre verfassungsrechtlich problematisch, wenn die Summe der Rentenzahlungen, die ein Rentner im Laufe seines Lebens erhält, im Durchschnittsfall geringer ausfallen würde als die Summe seiner Beiträge“, gibt Ulrich Theil, Sprecher der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), zu bedenken. Denn wer Beiträge in die Rentenkasse einzahlt, erwirbt damit verfassungsrechtlich geschützte Anwartschaften, hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden. „Rentner genießen bei der Rente Vertrauensschutz“, mahnt DGB-Fachmann Heinz Stapf-Finé. Rentenkürzungen seien aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, gibt auch er zu bedenken.

Auch der Berliner Verfassungsrechtler Volker Neumann schlägt Alarm: „Die Eckrente muss über dem Sozialhilfesatz liegen“, findet der Rechtsexperte. Alles andere sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Eckrente, die ein Durchschnittsverdiener nach 45 Beitragsjahren bekommt, liegt derzeit bei 1180 Euro. Doch die tatsächlich gezahlten Renten sind oft niedriger. 642 Euro beträgt die durchschnittliche Altersrente in Deutschland, hat der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) ausgerechnet. Im Westen klaffen die Durchschnittsrenten zwischen Männern (810 Euro) und Frauen (433 Euro) weit auseinander. Zum Vergleich: Ein alleinstehender Sozialhilfeempfänger bekommt im Westen 345 Euro im Monat plus Miete.

Schon die Rentenreformen der vergangenen Jahre werden für deutliche Einschnitte sorgen. So hat Rot-Grün die Rentenformel modifiziert und den so genannten Nachhaltigkeitsfaktor eingefügt. Dieser berücksichtigt, dass es künftig immer mehr Rentner und immer weniger Beitragszahler geben wird. Konsequenz: Das Rentenniveau wird mittel- bis langfristig sinken. „In 25 bis 30 Jahren werden die Rentenbeiträge auf 22 Prozent steigen und die Rente um 18 bis 20 Prozent sinken“, sagt Axel Börsch-Supan, Leiter des Mannheimer Forschungsinstituts für Ökonomie und demografischen Wandel.

Anders drückt es der Bremer Sozialexperte Schmähl aus: „Heute muss ein Durchschnittsverdiener bereits mehr als 25 Jahre lang Beiträge zahlen, bevor er eine Rente herausbekommt, die über dem Sozialhilfeniveau liegt.“ Im Jahr 2030 seien bereits mehr als 35 Beitragsjahre nötig.

Einige Rentenexperten warnen aber, Einschnitte könnten unvermeidlich sein. Etwa dann, wenn sich die Löhne auch in Zukunft schwach entwickeln. „Man kann langfristig die Renten nicht von den Löhnen abkoppeln“, sagt Börsch-Supan. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) die Finanzpolster der Rentenkasse, die Schwankungsreserve, fast abgebaut habe.

Die rechtlichen Hürden sieht Meinhard Miegel, Leiter des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG), gelassen. „Durch den immer weiter steigenden Steueranteil bei der Finanzierung der Rente nimmt auch die Eigentumsqualität mehr und mehr ab.“ Im Laufe der Jahre könne der Staat daher bei der Sanierung der Alterssicherung immer freier schalten und walten.

Möglich ist nach Meinung der Experten auf jeden Fall eine behutsame Ausweitung der Lebensarbeitszeit. Bei einem allmählichen, Jahre dauernden Übergang wäre die Rente mit 67 nach Meinung der Juristen und der Rentenversicherungsträger verfassungsrechtlich unproblematisch. Nicht aber ein kompletter Systemwechsel: Sollte die Rentenversicherung durch eine steuerfinanzierte Grundrente abgelöst werden, wäre das eine „Enteignung“, warnt der Berliner Rechtsprofessor Neumann. Hinzu kommt: Die anstehenden Probleme der Rente würde ein solcher Umstieg nicht lösen, glaubt der Mannheimer Professor Börsch-Supan: „Die Umstellung würde 40 Jahre dauern“, sagt der Ökonom, „aber die Baby-Boomer gehen schon in 20 Jahren in Rente“.

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