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Wirtschaft: Rentenreform: Rentenexperte Rürup über die Zukunft der Alterssicherung und die rechte Mischung zwischen Umlage und Kapitaldeckung (Interview)

Bert Rürup (56) ist Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Darmstadt und berät seit mehreren Jahren die Bundesregierung in Fragen zur Rentenreform. Auch die Blümsche Rentenreform hat seine Handschrift getragen: Rürup gilt als Erfinder des Demographiefaktors.

Bert Rürup (56) ist Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Darmstadt und berät seit mehreren Jahren die Bundesregierung in Fragen zur Rentenreform. Auch die Blümsche Rentenreform hat seine Handschrift getragen: Rürup gilt als Erfinder des Demographiefaktors. Seit Februar diesen Jahres gehört der Ökonom dem Rat der "Fünf Weisen", dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. Bundesarbeitsminister Walter Riester hat Rürup außerdem im Juni in den Sozialbeirat der Bundesregierung berufen.

Herr Professor Rürup, Sie gelten als deutscher Rentenpapst und haben jahrelang Reformen verlangt. Kommen Sie jetzt zum Ziel Ihrer Wünsche?

Von der Sache her ist ein Konsens zum Greifen nahe. Alle Parteien, bis auf die PDS, sind der Ansicht, dass unsere derzeitigen umlagefinanzierten Renten mittel bis langfristig keine lenbensstandardsichernde Versorgung für das Alter mehr garantieren können und das in unserer alternden Gesellschaft ein mischfinanziertes System aus Umlage- und Kapitaldeckung richtig ist. Worüber man sich jetzt noch streitet, ist die Frage, welche Relationen zwischen Kapitaldeckung und Umlage es geben soll.

Viel Zeit ist nicht mehr. Bis zur Sommerpause bleiben nur noch drei Wochen.

Die SPD hat sich selbst in diese Zeitfalle hinein manövriert. Die Blüm-Reform mit dem demografischen Faktor ist ja nur ausgesetzt. Im Jahre 2002 lebt sie wieder auf. Wer das verhindern will, muss im September/Oktober einen beratungsfähigen Entwurf präsentieren, damit dieser dann bis Mitte 2001 verabschiedet werden kann. Für einen Konsens bleibt wirlich nicht mehr viel Zeit.

Dann soll die Regierung doch ihre Reform alleine machen.

Eine neue Rentenreform einführen und damit auch die "Grausamkeiten" - sprich Leistungskürzungen -, könnte die SPD alleine durchsetzen. Genau wie die CDU den demografischen Faktor allein durchsetzen konnte. Aber für die zwingend erforderliche steuerliche Flankierung braucht sie den Bundesrat - also die Opposition. Insofern ist der Schwarze Peter bei der SPD.

Muss eigentlich der Aufbau einer privaten Vorsorge gleich wieder mit direkten Subventionen verbunden werden. Eigenvorsorge und Subvention sind doch Widersprüche?

Über staatliche Anreize in einer Umbauphase sind sich die Parteien einig. Bei Niedrigverdienern muss man über direkte Zuschüsse Anschubfinanzierung für die private Vorsorge machen. Und wenn jemand wenig oder keine Steuern bezahlt, hat er auch von steuerlichen Anreizen nichts. Bei den Normalverdienern ist die nachgelagerte Besteuerung die einzig richtige Antwort. Deshalb werdenn wir langfristig eine Altersvorsorgepauschale brauchen, in der alle Beiträge gleich behandelt und nachgelagert besteuert werden. Denn es ist schon problematisch, freiwillige Beiträge zur Privatvorsorge steuerfrei zu stellen, nicht aber die gesamten staatlichen Zwangsbeiträge zur gesetzlichen Rente, wie es zur Zeit der Fall ist.

Sind denn die aktuellen Reformpläne soviel besser als das Konzept von Blüm?

Beim Blüm-Konzept, an dessen Entwicklung ich auch beteiligt war, ging es "nur" darum, das Umlagesystem weiter zu entwickeln, sprich über den demografischen Faktor zu verbilligen. Damit sollten die Lasten zwischen den Generationen gerechter verteilt werden. Jetzt will man mehr: Die neue Rentenformel wird als Teil einer Reform der Altersvorsorge angesehen, bei der es um eine Verbilligung des Umlagesystems und einen parallelen Ausbau der ergänzenden kapitalgedeckten Systeme geht.

Das Zauberwort heißt Ausgleichsfaktor. Was ist das?

Wenn jemand bereits seine Rente bezieht oder kurz davor steht, hat er keine Möglichkeit mehr, aus eigener Kraft Einschnitte bei seiner Rente zu kompensieren. Je jünger man ist, und desto langfristig voraussehbar derartige Leistungsrücknahmen sind, desto mehr Zeit hat man, sich darauf einzustellen. Der Ausgleichsfaktor wirkt auf die erstmalige Berechnung der Rente, sprich die Rentenfestsetzung. Er wirkt um so massiver, je jünger ein Versicherter ist. Das heißt über diesen Faktor werden steigende Versorgungslücken bei der zu erwartenden Umlagerente produziert, indem man von der ursprünglichen Umlagerente die Hälfte einer fiktiven Kapitalrente abzieht, die dieser Versicherte bis zu seinem Renteneintritt - bei Ausnutzung der geplanten Zuschüsse und steuerlichen Abzugsmöglichkeiten - hätte ansparen können. Diese die Umlagerente reduzierende Kapitalrente und damit der Abschlag sind natürlich um so höher, je länger die möglichen Ansparfristen sind. Sie sind zugleich um so höher je höher der Zinssatz ist, mit dem sich dieses Altersvorsorgesparen verzinst. Über diesen Ausgleichsfaktor soll das Umlageverfahren nachhaltig verbilligt werden und gleichzeitig ein Quasizwang zum Aufbau einer Kapitalrente erzeugt werden, wenn man eine lebensstandardsichernde mischfinanzierte Versorgung haben will.

Wenn es schon diesen Zwangsabschlag gibt, müsste man daraus dann nicht auch den Zwang zur Privatvorsorge ableiten?

Selbstverständlich. Das fehlende Obligatorium ist ein Konstruktionsfehler. Meines Erachtens kann man nicht tatsächliche Leistungsrücknahmen mit möglichen kapitalgedeckten Ansprüchen kompensieren und sagen, dass daher das Gesamtversorgungsniveau steigt. Darüber hinaus halte ich es für relativ problematisch, diesen Ausgleichsfaktor an einen Kapitalmarktzins zu koppeln und zudem noch - wie im ursprünglichen Konzept - relativ hohe 5,5 Prozent zu unterstellen. Realistischer und sachgerechter wäre es, den Garantiezins der Lebensversicherungen von derzeit noch vier Prozent zugrunde zu legen oder aber sich ganz von der Zinsorientierung zu lösen und über altersabhängige Abschläge ein bestimmtes Mindestniveau anzustreben. Neben diesen mehr technischen Problemen gibt es allerdings ein sehr viel mehr grundsätzliches, leider bisher bislang noch nicht hinreichend diskutiertes Problem.

Inwiefern?

Die entscheidende Frage heißt: Soll der Sozialstaat reduziert, also abgebaut werden? Oder soll er umgebaut werden? Wenn das Ziel darin besteht, die gesetzliche Rentenversicherung aus Gründen der langfristigen Finanzierbarkeit zu verbilligen, sollte man dies durch offene Leistungsrücknahmen machen, und beim Ausbau der kapitalgedeckten Systeme sollte man beim Freiwilligkeitsprinzip gegebenfalls gepaart mit staatlichen Anreizen bleiben. Aber man muss dann auch den Mut haben, sich zu wachsenden Versorgungslücken zu bekennen.

Das ist aber doch gewiss nicht Ihr Konzept?

Da haben Sie Recht. Ich bin dafür, ein System zu schaffen, das für allen den Lebensstandard erhält. Aber in neuer Form einer Mischfinanzierung aus Kapitaldeckung und Umlage. Wer eine lebenstandardsichernde Gesamtversorgung für alle will, der wird an obligatorischen Betriebsrenten oder einer obligatorischen Privatvorsorge nicht vorbei kommen. Denn die zur Lebensstandardsicherung der in der Sozialversicherung Basisgesicherten erforderliche Flächendeckung ist nur über Obligatorien zu erreichen. Die Frage Obligarium Ja oder Nein hängt somit in der Reichweite der Reform und vor allem von der dem Sozialstaat zugewiesenen Reichweit ab. Hier dürfen die Parteien nicht herumeiern. Aber wie gesagt: Die Politik, auch die rot-grüne Regierung, hat bisher noch nicht erklärt, welche Variante sie bevorzugt. Es ist Zeit, dass endlich klar gesagt wird, wie weit der Sozialstaat reichen soll.

Es ist offensichtlich auch noch nicht ausdiskutiert, ob mit dem Riesterschen Reformodell die paritätische Finanzierung der Sozialversicherung aufgegeben wird. Bei den Gewerkschaften mehrt sich der Widerstand dagegen, die Privatvorsorge ausschließlich zur Sache der Arbeitnehmer zu machen.

Der Arbeitgeberanteil ist eine von Gewerkschaften und von Arbeitgebern gehätschelte Schimäre und die Finanzierungsparität eine rein optische. Denn da jeder Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft eine Investition darstellt und jeder Beschäftigte mit seiner Wertschöpfung mindestens die gesamten Arbeitskosten erwirtschaften muss, werden die Arbeitgeberbeiträge zwar von den Arbeitgebern bezahlt, getragen durch Barlohnverzichte oder Beschäftigungsabbau werden sie aber immer und nur von den Arbeitnehmern. Demnach wird von den Gewerkschaften gegen die Privatvorsorge protestiert, wie es die Arbeitgeber gegen die obligatorische Betriebsrente tun.

Aber könnte man mit einem höheren Anteil der privaten Vorsorge, sprich über die Kapitaldeckung nicht eine viel höhere Rendite erreichen?

Hinsichtlich der Altersrente höchstwahrscheinlich ja. Das Umlageverfahren vertraut auf die Stabilität und Ergiebigkeit der nationalen Einkommen, während das Kapitaldeckungsverfahren auf die Stabiltät der nationalen und internationalen Kapitalmärkte und Kapitaleinkommen abstellt. Das heißt beim Kapitaldeckungsverfahren ist es über eine weltweite Anlage der Beiträge möglich, ausländische Wertschöpfungen zur Finanzierung der heimischen Renten heranzuziehen. Das kann man beim Umlagverfahren nie ...

das spricht für einen viel höheren Anteil der privaten Vorsorge...

Nein. Man darf nicht übersehen, dass in der gesetzlichen Rentenversichrung nicht nur das Risiko "Langlebigkeit" abgesichert wird, sondern auch, da es sich um eine Sozialversicherung handelt, die Risiken der Invalidität, Rehabilitationsbedürftigkeit und des Todes - das heißt der Hinterbliebenenversorgung. Das soll weiterhin vom Umlagesystem geregelt werden. Schon aus diesem Grund sollte das Umlagesystem nicht zu gering ausfallen.

Welches Rentenniveau ist für Sie die Grenze?

Bei 60 Prozent ist bei mir das Ende der Fahnenstange erreicht.

Wie müsste die private Vorsorge gestaltet sein, wenn Sie Langlebigkeit absichern soll?

Drei Kriterien sollten beachtet werden: Einmal muss die Anlage sicher sein. Die Anlage sollte zweitens geeignet sein, nach dem Renteneintritt ein lebenslanges Einkommen gewährleisten und sie muss so aufgebaut sein, dass sie sich bis zum Lebensende aufbraucht. Altersvorsorgesparen muss nicht die Erben freuen.

Was soll man sich eigentlich unter privater Vorsorge vorstellen? Die gute alte Lebensversicherung?

Private Vorsorge läuft nicht automatisch auf die Lebensversicherung hinaus. Ganz im Gegenteil. Nichts spricht dagegen, die Ansparphase von der Alters- beziehungsweise Verrentungsphase abzukoppeln. In jungen Jahren sollte man ruhig in risikoreichere Papiere investieren können. Später sollte man in sichere Papiere und beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben in einen Rentenplan umschichten können. Im übrigen, wer die nachgelagerte Besteuerung des Altersvorsorgesparens fordert, muss ein besteuerbares Alterseinkommen akzeptieren.

Das haben wir berfürchtet. Private Vorsorge, staatlich diktiert - das Riester-Zertifikat für den Rentenfonds. Im Ernst: Besteht nicht die Gefahr, dass der Kapitalmarkt verzerrt wird?

Überall dort, wo es kapitalgedeckte Altersversicherungssysteme gibt, gibt es Regulierungen. Etwa in Chile, Hong Kong oder Singapur. Und auch bei einem Teilausstieg wie in Schweden, ist die Kontrolle der geeigneten Kapitalmarktprodukte hoch, und das ist auch gut so. Denn diese Produkte sollen in erster Linie der Altersvorsorge und nicht der Kapitalmarktpflege dienen. Warum es aber gleich zu einer Verzerrung des Kapitalmarktes kommen soll, wenn ein Fonds später in eine Rentenversichrung umgewandelt werden kann, leuchtet mir nicht ein. Um noch deutlicher zu widersprechen: Auch bei einem kapitalgedeckten System, steht die Einkommenssicherheit im Alter im Vordergrund und nicht die Kapitalmarktpflege.

Herr Professor Rürup[Sie gelten als deutsche]

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