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Wirtschaft: Retroprodukte: Sexy-mini-super-flower-pop-op

Voluminöse, bauchige Kühlschränke in mintgrün oder tomatenrot erobern Deutschlands Küchen zurück, Toaster und Mixer können ohne Chrom nicht mehr existieren, Mosaikmuster auf Tischen und Böden gelten als schick und das Badevergnügen macht in freistehenden Wannen auf vergoldet-verschnörkelten Füßen doppelt so viel Spaß. Trends aus vergangenen Jahrzehnten feiern ihre Wiederauferstehung, schließlich lässt sich das Lebensgefühl von damals gut verkaufen.

Voluminöse, bauchige Kühlschränke in mintgrün oder tomatenrot erobern Deutschlands Küchen zurück, Toaster und Mixer können ohne Chrom nicht mehr existieren, Mosaikmuster auf Tischen und Böden gelten als schick und das Badevergnügen macht in freistehenden Wannen auf vergoldet-verschnörkelten Füßen doppelt so viel Spaß. Trends aus vergangenen Jahrzehnten feiern ihre Wiederauferstehung, schließlich lässt sich das Lebensgefühl von damals gut verkaufen. Längst haben Unternehmen aller Branchen - von den Sportartikelherstellern bis hin zur Lebensmittelindustrie - entdeckt, dass Produkte, die einst vom Markt genommen wurden, heute eine breitere Käuferschicht begeistern können als je zuvor. Nämlich nicht nur die Konsumenten, die das Retroprodukt schon im Original kannten, sondern auch diejenigen, für die das Produkt die Neuauflage einer nicht erlebten Epoche bedeutet.

Eines der berühmtesten Retroprodukte auf dem deutschen Markt ist Afri-Cola. Bereits 1931 entwickelte der Kölner Getränkehersteller Karl Flach die Rezeptur für die koffeinhaltige Brause. Aber erst in den 60-er Jahren kam die deutsche Bevölkerung auf den Afri-Geschmack und die Cola in der 0,2-Liter-Flasche mit Tallie wurde zum Kultgetränk einer ganzen Generation. Frohen Herzens fröhnten die Deutschen dem Konsumrausch, die Jugend sprühte vor unbändiger Lebenslust und passend zum itsy-bitsy-teenie-weenie-honululu-Strandbikini schlürfte man die sexy-mini-super-flower-pop-op-Cola. Doch als das Flowerpowerfeeling verblüht und die wilden 68-er gezähmt waren, ließ auch die Lust auf Afri-Cola nach.

Jahrelang wurde die Koffeinlimonade mit der weißen Palme nur noch in der Szenegastronomie ausgeschenkt, bis dann im Dezember 1998 die Mineralbrunnen Überkingen-Teinach AG die Lizenzen für Afri-Cola übernahmn. Nun will der Getränkekonzern die Kult-Cola von einst wieder in aller Munde bringen. "Wir haben begonnen, Afri-Cola deutschlandweit im Handel zu platzieren", sagt Pressesprecherin Birgit Eschenbruch. Und auch dem Zeitgeist hat die Trinkbrunnen AG Tribut gezollt: Für alle figurbewussten Kalorienzähler gibt es seit kurzem die Lightvariante. "Unsere Hauptzielgruppe die 14- bis 29-Jährigen", erklärt Eschenbruch. Allerdings belegten die steigenden Absatzzahlen, dass auch frühere Afri-Liebhaber nicht vergessen hätten, wie die gute alte Zeit schmeckt. "Retroprodukte sind bei den Konsumenten so begehrt, weil Erinnerungsprozesse als angenehm empfunden werden", erklärt Alexandra Wöllenstein vom Institut für Produktpolitik an der Kölner Universität das Phänomen der Wiederkehr.

Auch der Eishersteller Langnese will mit dem Wohlgefühl der Erinnerung Geld verdienen. Und so kramten in diesem Jahr die Marketingstrategen den Like-ice-in-the-sunshine-Spot aus der Filmkiste hervor, der schon von 1983 bis 1993 erfolgreich über die Kinoleinwände flimmerte. Das Titellied wurde neu aufgenommen, die Farben aufgefrischt und die Bikinimädchen dem heutigen Schönheitsideal angepasst. Das Remake des Werbefilms - inklusive Anzeigen- und Plakatkampagne - ließ sich Langnese 45 Millionen Mark kosten. Passend zum Werbefilm kehrten dann auch längst vergessene Eissorten in die Tiefkühltruhen zurück: Der Braune Bär reitet wieder und seit Februar 2001 hat auch der knallrote Flutschfinger einen festen Platz auf der Eis-Karte.

Bereits 1995 hatte Langnese versucht, mit der Wiedereinführung des Braunen Bären, die Herzen der Eisliebhaber zum Schmelzen zu bringen. Doch bei den Kunden wollte kein rechtes Lutschvergnügen aufkommen - nicht zuletzt weil Konsistenz und Geschmack des Karamelkerns im neuen "Bären" verändert worden waren. Und so verschwand das Karameleis nur ein Jahr später aus dem Sortiment. Besonders bei Lebensmitteln müsse das Retro-Produkt eine exakte Kopie des Originals sein, begründet das Fresenius-Insitut für Qualitätssicherung und Produktentwicklung die missglückte Wiedereinführung. Das hat jetzt auch Langnese verstanden: Der neue Braune Bär ist 2001 wieder ganz der Alte - und zwar mit echtem Karamelkern. Ein Grund, warum Langnese dem Retro-Trend folgt ist die Erkenntnis, dass sich Produkte mit Tradition gut verkaufen lassen. Denn der führende deutsche Eishersteller muss hart um seine Marktanteile kämpfen, seit Handelsketten wie Aldi, Rewe und Tengelmann mit eigenen Eisprodukten in die Tiefkühltruhen drängen. Derzeit bestreiten die drei Branchenriesen Langnese, Schöller und Dr. Oetker etwa 27 Prozent des deutschen Eismarktes - rund zehn Prozent weniger als noch vor fünf Jahren. Gleichzeitig ist der Anteil der No-Name-Produkte auf 24 Prozent gestiegen. "Nach dem Magnum-Eis im Jahr 1989 ist von Langnese nichts Bahnbrechendes mehr gekommen", urteilt ein Branchenkenner. Also würden nun frühere Erfolge recycelt.

Die Adidas Salomon AG nutzt ebenfalls Produkte von damals für das Geschäft von morgen und hat in diesem Herbst die Sportartikellinie "Originals" auf den Markt gebracht. Die klassischen Adidasschuhe aus blauem Nubukleder mit gelben Metallicstreifen sind wieder da und auch die legendären Frotteehosen. In den 70-ern liefen ganze Schulklassen in den hellblauen oder roten Hosen aus Frottee zur Turnstunde auf. Diese Hosen sehen heute noch genauso aus wie vor 20 Jahren. Der einzige Unterschied: Die trendbewusste Jugend trägt sie nicht mehr zum Sportunterricht, sondern in der Freizeit. "Die Grenzen zwischen Lifestyle- und Sportprodukten verschmelzen immer stärker", sagt Adidas-Pressesprecher Jan Runau. Und deshalb will Adidas jetzt mit der Retro-Linie modische Akzente setzen. "Ohne unser Markenimage als Sportartikelhersteller zu verwässern, können wir so ein zusätzliches Marktsegment erobern", erklärt Runau. Momentan setzt Adidas mit der Sparte "Originals" 470 Millionen Euro um, das sind etwa zehn Prozent des Gesamtumsatzes. In den nächsten Jahren soll der Anteil der Retroprodukte auf 30 Prozent gesteigert werden. Um diesem Ziel näher zu kommen, setzt der Konzern auf eigene Lifestyle-Stores rund um den Globus. Der erste Shop wurde im Oktober in Berlin eröffnet, Anfang Dezember folgt der zweite Laden in Tokio.

Mit Trenderscheinungen will das Waltoper Versandhaus Manufactum nichts zu tun haben. "Und schon gar nicht mit Retrotrends", betont Ulrich Burchardt, Mitglied der Geschäftsführung. Er spricht lieber von "den guten Dingen", die erhalten bleiben müssen, Dinge, die "brauchbar, dauerhaft und schön sind." Zum Beispiel Kohlenstoffstahlmesser. "Die bleiben immer scharf und halten eine Ewigkeit", sagt Burchardt. Aber solche qualitativ hochwertigen Produkte seien mittlerweile fast ganz vom Markt verdrängt worden. Entweder weil sie zu teuer oder durch zweitklassige Innovationen ersetzt worden seien. So hätten auch die Kohlenstoffmesser der Konkurrenz aus Kunststoff mit rostfreier Klinge weichen müssen - und das obwohl die neue Messergeneration binnen kürzester Zeit stumpf und unbrauchbar werde.

Burchardt und seine Partner haben sich deshalb den guten Dingen verpflichtet und bieten in ihrem Katalog 4000 solcher Artikel feil - von der Küchenmaschine bis zur Tagescreme. Zum größten Teil stammen die Produkte von kleinen Herstellern mit einer langen Handwerkstradition. Da gibt es beispielsweise den "gusseisernen Bohnenschneider in ursprünglich roter Farbe", den die Firma Schulte aus Ostwestfalen exklusiv für das Versandhaus wieder herstellt oder den "erstklassigen Präzisionsbleistiftspitzer aus Messing", der dank Manufactum weiter leben darf. Die Sehnsucht nach Tradition und Qualität hat dem Versandhaus mittlerweile 600000 treue Kunden und einen Jahresumsatz von knapp 100 Millionen Mark beschert. Klassische Produkte von schlichter Schönheit sind offenbar gefragt. Und Burchardt weiß auch warum: "Das Design unserer Tage ist zu einem rein formalen Originalitätswahn verkommen und letztlich kommt nur funtkionsloser Zierat dabei raus."

Dagmar Rosenfeld

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